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Tricontium (German Edition)

Tricontium (German Edition)

Titel: Tricontium (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Claußnitzer
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sein. »Ich habe nicht angenommen, Ihr wärt kein gebildeter Mann, Herr Wulf … Wulf«, wiederholte er, als sei es sehr wichtig, zu unterstreichen, dass er keine Beleidigung beabsichtigt hatte.
    Wulf hielt es für besser, gar nicht darauf einzugehen. »Ich kenne Euren Namen nicht, auch wenn ich weiß, dass Ihr Otachars Schreiber wart.«
     Kurz herrschte ein unbehagliches Schweigen. »›Kra‹ wird genügen«, kam es dann schließlich aus der Dunkelheit.
    »Kra? Krähe?« Wulf konnte sich, mochte er auch selbst nach einem Tier benannt sein, nicht recht vorstellen, dass »Krähe« tatsächlich ein richtiger Name war, und seine Zweifel wurden bestätigt, wenn die Stille auch womöglich noch länger dauerte als zuvor.
    »Das ist so hängen geblieben«, erklärte der Schreiber nämlich. »Erst war es nicht schmeichelhaft gemeint, aber ich habe mich daran gewöhnt. Ich habe einen Namen, aber hier möchte ich ihn nicht häufiger als nötig hören. Nicht von diesen Leuten.«
    »Wie Ihr möchtet.« Wulf versuchte zu verstehen, was in dem Schreiber wohl vorging, und konnte es nicht. Ihm selbst hatte es zu viel bedeutet, seinen wahren Namen wiederzugewinnen.
    »Ihr werdet mich ›Krähe‹ nennen, ja?« Der Schreiber wirkte fast erstaunt, auf keinen Widerstand zu treffen.
    Wulf lächelte. »Ich werde Euch so nennen, wie Ihr genannt werden wollt, meinetwegen auch ›Caesar Augustus‹, wenn es Euch so behagt, oder ›Schreiber, der mich jeden Abend wach hält‹.«
    Diese Anspielung konnte selbst Krähe nicht überhören. »Es tut mir leid«, sagte er und klang ehrlich zerknirscht. »Ich wollte Euch gewiss nicht wach halten, und … Es tut mir wirklich sehr leid.«
    »Gute Nacht, Krähe.«
    »Gute Nacht, Wulf. Und danke.«
    Wulf träumte in dieser Nacht schlecht, doch als er am nächsten Tag erwachte, wünschte Krähe ihm mit dem ersten freundlichen Lächeln, das er seit seiner Ankunft in Mons Arbuini auf irgendeinem Gesicht gesehen hatte, einen guten Morgen. Das war genug, ihn beschließen zu lassen, dass er den Schreiber trotz allem mochte, und so warf er später Aslak dem Pferdedieb einen warnenden Blick zu, als der Mann sich an einem Stück Brot vergreifen wollte, das eigentlich Krähe zustand. Wie dankbar ihm der Schreiber dafür war, war ihm beinahe unangenehm.
    Wie Wulf in den folgenden Wochen erst aus Andeutungen, dann aus längeren Erzählungen erfuhr, hatte Aslak Krähe schon zuvor zu einem seiner bevorzugten Opfer erkoren gehabt, was weiter kein Wunder war. Über manches, was sich in dieser einen Woche zugetragen hatte, schwieg der Schreiber beharrlich, doch berichtete er nach und nach von tausend kleinen Ärgernissen und Demütigungen und auch davon, wie hässlich Aslak geredet hatte, als Otachars früherer Schwertmeister elendig gestorben war.
    Wulf begann, etwas mehr Verständnis für die drei tränenreichen Abende zu entwickeln, und er beschloss, nicht an Dinge zu rühren, die nur neuerlichen Schmerz bereiten mussten, wenn man zu häufig über sie sprach. Stattdessen tat er später, als sie einander schon so gut kannten, dass ein Rat nicht falsch aufgefasst werden würde, sein Bestes, weitere Schwierigkeiten zu verhindern.
    »Du darfst deine Furcht nicht zeigen, Krähe«, sagte er. »Ich leugne ja gar nicht, dass Leute wie Aslak einem Angst einjagen können, aber man sollte ihnen nicht den Gefallen tun, sie das auch noch merken zu lassen.«
    »Hast du Angst vor Aslak?« Das konnte Krähe sich offensichtlich nicht vorstellen.
    Wulf lachte. »Oh ja. Es wäre auch sehr dumm, keine Angst vor jemandem zu haben, der einen Mann erschlagen hat, um an ein Pferd zu kommen, das er nicht einmal dringend brauchte. Was ist Angst, wenn nicht Wissen um drohende Gefahren? Solange man ihr nicht erlaubt, einen zu beherrschen, ist sie eine sehr nützliche Sache. Aber wie andere nützliche Dinge sollte man sie nicht herumzeigen.«
     
    Wulf wäre sehr enttäuscht gewesen, wenn er damals schon geahnt hätte, dass Oshelm nicht recht wusste, was er mit dieser weisen Lehre anfangen sollte. Es war leichter gesagt als getan, sich seine Angst nicht anmerken zu lassen, und es war Monate her, dass er zuletzt tatsächlich keine empfunden hatte.
    Er war schon in großer Sorge gewesen, als nach Bocernae ein paar treue Krieger Otachars die jämmerlichen Überreste eines Mannes, den sie für ihren Herrn gehalten oder ausgegeben hatten, nach Tricontium gebracht hatten, und wahrscheinlich hätte er seinem ersten Gedanken nachgeben und fliehen

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