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Tricontium (German Edition)

Tricontium (German Edition)

Titel: Tricontium (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Claußnitzer
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erschlagen.«
    Gudhelm schien zu beängstigender Größe anzuwachsen. »Ihr wagt es?«, begann er und hätte wohl noch weiter geschimpft, wenn Malegis nicht mit dem Ärmel über den Spiegel gerieben und damit den ganzen Spuk weggewischt hätte. »Nun ist es genug! Man soll Geister nicht erzürnen, Herr Ardeija; Ihr seht ja, dass das im Zweifelsfalle dazu führt, dass man zu Tode erschreckt wird.«

35. Kapitel: Trugschlüsse
    Herrad war immer gern nach Mons Arbuini gereist, und obwohl sie, seit sie die Steinbrüche kannte, gelegentlich ein schlechtes Gewissen für ihre gute Laune hatte, überwogen doch glückliche Erinnerungen an den Zollturm. Sie war sechs Jahre alt gewesen, als ihre Mutter es nach langen Verhandlungen endlich zuwege gebracht hatte, Hafenzolleinnehmerin in Aquae zu werden und mit ihrer Tochter ins Haus ihres Mannes zu ziehen, doch das, was sie aus der Zeit davor noch wusste, war größtenteils schön. Sie hatte im Sommer mit ihrer Mutter auf den Stufen des Turms gesessen und der kleinen Eidechse zugesehen, die in den Ritzen der Treppe gewohnt hatte. Im Teich östlich der Straße hatte sie Schwimmen gelernt. An seinem Ufer hatte sie auch den großen Stein gefunden, der wie ein seltsames Tier geformt war und den sie noch immer benutzte, um ihre Papiere zu beschweren. In dem Zimmer unter dem Turmdach, wo sie geschlafen hatten, hatte es bei der Fensternische einen losen Ziegel gegeben, hinter dem sie ihre Schätze versteckt hatte, Schneckenhäuser und Vogelfedern und das silberne Glöckchen, das an ihrem letzten Neujahrsmorgen in Mons Arbuini auf der Straße gelegen hatte und wohl vom Sattelzeug eines eiligen Reiters abgefallen war. Dort oben war in einer Winternacht auch ein Feuerkobold über ihre Bettdecke gelaufen und die Krieger ihrer Mutter hatten ihr am nächsten Tag versichert, nun werde sie viele Monate Glück haben, wie jeder, dem ein Kobold so nahe kam.
    Die nahen Steinbrüche waren sehr fern gewesen. Als einmal eine Reihe gefesselter Männer die Straße entlanggeführt worden war, hatte Herrad ihre Mutter gefragt, was es damit auf sich hätte, und hatte zur Antwort erhalten, gelegentlich schicke der Vogt von Aquae böse Leute, die gestohlen oder gemordet hätten, gefangen in die Steinbrüche, denn dort könnten sie niemandem schaden und gut über ihre Verfehlungen nachdenken. Damals hatte die Erklärung ausgereicht; heute wünschte sich Herrad, es wäre tatsächlich so einfach, böse Leute zu erkennen und ihrem gerechten Schicksal zuzuführen, wie sie es sich als Kind vorgestellt hatte. Sie konnte ja noch nicht einmal einschätzen, ob das, was Gero getan hatte, gut, böse oder nichts von beidem war.
    Wenigstens wirkte er aufrichtig erfreut, sie zu sehen, als sie sich endlich an den Kriegern aus Salvinae vorbeigekämpft hatte, die noch immer das Torhaus besetzt hielten und mit einer Abordnung, die Ebbo aus Aquae geschickt hatte, um Zuständigkeiten stritten.
    In dem Raum, in dem Geros Schreibpult und einige Stühle standen, war es so kalt wie stets im Herbst und Winter, aber anders als sonst schien der Hauptmann dies selbst zu spüren. Er hatte einen Umhang aus grobem Wollstoff eng um sich geschlungen und sah die Richterin sehr müde an, während er ihr einen Platz anbot und die Dienerin, die im Nebenzimmer Wäsche gefaltet hatte, nach Wein schickte.
    Der allerdings war vorzüglich und Herrad gestattete es sich, für einige Augenblicke nur den Geschmack zu genießen.
    Gero schien sich bereits seine Gedanken über den Anlass ihres Besuchs gemacht zu haben. »Wenn Ihr wegen des Mannes kommt, den Euer Hauptmann neulich verhört hat – der ist geflohen«, sagte er übergangslos, nachdem auch er von dem Rotwein gekostet hatte.
    Herrad heuchelte kein Erstaunen. In der Vergangenheit hatte sie immer dann am Leichtesten etwas bei Gero erreicht, wenn sie ihm geradeheraus und ehrlich begegnet war. »Ich weiß – und Ihr wisst Eurerseits, dass die Gründe, die mein Hauptmann vortrug, nur vorgeschoben waren. Ich hatte Hinweise erhalten, dass ›Aquila‹ ein falscher Name sei, und auch, wer sich dahinter verbergen könnte.«
    Gero nickte leicht. »Ihr habt Eure Vermutung wohl bestätigt gefunden?«
    Das ließ sich nicht abstreiten. »Ja«, sagte Herrad. »Aber Ihr versteht gewiss, dass ich mich frage, weshalb Ihr, wenn Ihr mein Wissen teilt, den Mann, den Geta Euch geschickt hat, jahrelang wie einen gewöhnlichen Gefangenen gehalten habt.«
    Gero schwieg; ein Kiefernscheit knackte im Feuer, das nicht

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