Tricontium (German Edition)
Brot vor der Nase weg. »Was war da eigentlich?«
»Das weißt du doch.« Ardeija beobachtete Gjuki, der irgendwo einen Strohhalm ergattert hatte und sich nun ausführlich damit beschäftigte. »Sie haben mir auf dem Weg von Corvisium nach Tricontium aufgelauert und mich auf den Brandhorst verschleppt.«
Otter schnalzte mit der Zunge. »Du weichst aus, mein Freund.«
»Wundert dich das?« Ardeijas Finger, die eben noch Gjukis Rücken gestreichelt hatten, lagen still. »Was willst du von mir hören? Etwas wie ›Mein eigener Vater hat mich so übel zugerichtet, dass fast ein Schaden nachgeblieben wäre – ha, welch schöne Erinnerung, ich wünschte, das könnte ich noch einmal erleben!‹?«
»Unsinn.« Otter biss in sein Brotstück und fuhr mit vollem Mund fort: »Ich dachte, du erzählst uns endlich, was du in Corvisium gemacht hast. Ist das ein großes Geheimnis?«
»Nein«, sagte Ardeija und begann bedächtig, den Daumen erneut an Gjukis Rückenkamm entlangfahren zu lassen. »Ich habe jemanden besucht. Eine Frau.«
»Oho!« Otter klang neugierig. Er war wohl schon dann und wann in den Genuss einer von Ardeijas wilden Geschichten über seine tatsächlichen oder ausgeschmückten Abenteuer gekommen und wusste, dass sie gute Unterhaltung versprachen. Allerdings hatte er wohl nicht gut genug zugehört, um wie Wulfila zu wissen, dass die Einleitung ganz anders geklungen hätte, wäre es tatsächlich um eine aufregende Nacht oder die Hoffnung auf eine gegangen. Solche Erzählungen hatten früher immer mit tausenderlei scheinbar ausweichenden Andeutungen begonnen, gelegentlich auch mit einem auffällig zur Schau gestellten Liebespfand; geradewegs zu verraten, dass es um eine Frau ging, hatte Ardeija stets vermieden, bis seine Zuhörer lange genug gebeten hatten. Wenn er es nun ohne weitere Umstände scheinbar eingestand, war die Sache in Corvisium sicherlich so harmlos wie nur irgendetwas gewesen.
Doch Otter war in die Falle gegangen und das schien Ardeija fast genauso sehr zu freuen wie der Umstand, dass er den Spaß mit Wulfila teilen und kurz schelmisch zu ihm herüberlächeln konnte. »Das kannst du wohl sagen«, erwiderte er an Otter gewandt. »Sie war die Konkubine eines mächtigen Barsakhanenhäuptlings.«
»So etwas erzählen sie einem gern.«
»Das hat sie mir nicht erzählt.«
»Dann bist du es, der übertreibt.«
»Nein, jedes Wort ist wahr. Außerdem« – er machte eine Kunstpause und nahm einen Schluck Wein – »ist sie um die achtzig Jahre alt und auch da übertreibe ich nicht.«
Wenn Drachen lachen konnten, lachte Gjuki jetzt eindeutig, sei es über Ardeijas diebisches Vergnügen oder über Otters dummes Gesicht. Das hohe, sirrende Geräusch klang ausgesprochen fröhlich.
»Keine Angst, ich selbst wollte nichts von ihr«, fuhr Ardeija erklärend fort, nachdem er einen Augenblick lang die Wirkung seiner Worte ausgekostet hatte. »Aber ich sollte ihr etwas ausrichten. Das war eine der letzten Bitten meines Großvaters, und wenn ich nicht getan hätte, was er wollte, hätte er mich bestimmt als Geist auf Jahre hinaus verfolgt … Das wäre noch schlimmer gewesen als der Zorn meiner Mutter, den ich dafür ertragen musste, dass ich bereit war, hinzugehen.«
»Ah!« Otter lachte. »Hat deine Mutter etwas gegen die Bekanntschaften deines Großvaters?«
»Gegen diese eine sogar sehr viel.« Ardeija war nun ernst, als sei die Angelegenheit nicht zum Scherzen.
»Es gibt doch nichts Besseres als eine Barsakhanengeschichte, um den Abend zu beschließen«, sagte Otter, noch immer unerschütterlich heiter.
»Die kannst du bekommen«, sagte Ardeija mit unergründlicher Miene und begann zu erzählen.
Sabur, den sie auch Siebenfinger nannten, nachdem eine Kampfwunde seine linke Hand verstümmelt hatte, war der Häuptling der Leute von der Roten Stute, als Terguri Khan die Barsakhanen nach Westen führte, und auch schon viele Jahre davor. Er hatte eine Frau, die entfernt mit einem Schwager Terguris verwandt war, und nahm sich nach und nach drei Konkubinen, so viele, wie für einen Mann seines Ranges gerade angemessen waren. Zwei waren Barsakhaninnen, aber die dritte und jüngste war als Kriegsbeute weit aus dem Osten gekommen und nur über viele Umwege in Saburs Zelt geraten. Sie sagte, dass man ihren Namen, den keiner so recht aussprechen konnte, mit »Perlenkranich« übersetzen müsse, und so wurde sie deshalb auch genannt. Sabur liebte sie von all seinen Gefährtinnen am meisten, obwohl sie
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