Tricontium (German Edition)
wurde es dafür im Haus laut. Herrad und Paulinus konnten sehr über irgendetwas lachen. Gleich darauf kamen beide in die Küche herüber. Der Besuch ihres Lehrers schien Herrads Ärger über das fleckige Gewand verscheucht zu haben; sie wirkte, als sei sie nun mit der Welt höchst zufrieden.
Paulinus hingegen machte nun ein etwas ernsteres Gesicht als bei seinem Eintreffen und wandte sich, kaum dass höflich Gruß und Gegengruß ausgetauscht worden waren, Wulfin zu. »Herrad meint, ich hätte einen vernünftigen neuen Schüler nötig und könnte an dir einen gewinnen. Zeit hätte ich; ein Mädchen, von dem ich mir viel versprochen habe, ist gerade nach Aliso gezogen, zu weit weg, um noch zu mir kommen zu können. Was hältst du davon?«
Wulfila fand zwar, dass es sich auch gehört hätte, ihn zu fragen, was er davon hielt, doch er konnte sich vage erinnern, genickt zu haben, als Herrad sich vorgestern zwischen Tür und Angel bei ihm erkundigt hatte, ob es ihm recht sei, wenn sie sich nach einem passenden Lehrer für Wulfin umhöre. »So leid es mir tut, das offen sagen zu müssen – die Schule des Bischofs wird ihn nicht nehmen«, hatte sie erklärt, während sie darauf gewartet hatte, dass ihr Pferd gesattelt wurde. »Nicht mit einem Dieb als Vater. Was das betrifft, ist es dort mit der christlichen Vergebung nicht weit her. Und den alten magister ludi , der seine Bude am Markt hat, kann man vergessen. Dem könnte wahrscheinlich eher Wulfin etwas beibringen als umgekehrt!«
Wulfila hatte zwar nicht gewusst, welche Kosten für Stunden bei einem Lehrer nach Herrads Geschmack entstehen würden, aber in dem beruhigenden Wissen, dass das Geld aus Otachars Kriegskasse noch kaum angetastet war, hatte er auch nicht danach gefragt, sondern darauf vertraut, dass die Richterin schon einen guten Vorschlag machen würde.
Damit, dass sie sich so schnell darum kümmern und ihren eigenen alten Lehrer wählen würde, hatte er allerdings nicht gerechnet. Aber Paulinus hatte Herrad ja ganz ordentlich hinbekommen; vielleicht konnte man ihm Wulfin anvertrauen, wenn sie erst vom Brandhorst zurück waren.
Nur Wulfin selbst schien anderer Meinung zu sein. »Vielen Dank«, sagte er und neigte höflich den Kopf, »aber ich möchte kein Richter werden.«
Herrad lachte. »Weise Entscheidung!«
Auch Paulinus wirkte nicht im Mindesten beleidigt. »Die wenigsten kommen zu mir, um die Rechte zu studieren. Viele kommen nur, um sich in Grammatik und Rhetorik unterweisen zu lassen und mir immer wieder neu vor Augen zu führen, dass mir von den übrigen artes sehr wenig im Gedächtnis geblieben ist. Was du später damit anfängst, können wir in fünf, sechs Jahren immer noch entscheiden. – Du liest schon gut, habe ich gehört? Auch Latein?«
»Das nicht so gut«, sagte Wulfin ehrlich.
»Bestimmt gut genug, um etwas vorzulesen!«, entgegnete Paulinus unbeirrt und legte einen geöffneten Brief vor den Jungen auf den Tisch. »Hier! Du musst mit dieser Zeile beginnen. Lies vor, damit ich hören kann, wie sicher es schon geht.«
Wulfila stellte sich auf eine längere Unterbrechung seines Frühstücks ein, doch die ersten Worte, die Wulfin gehorsam vorlas, ließen ihn seinen Ärger über den unwillkommenen Besuch vergessen.
»› Corvisianus vel Wulf ‹ – das geht um meinen Großvater, nicht wahr?«
»Ganz recht.« Herrad lächelte. »Lies nur weiter!«
»› Corvisianus vel Wulf, filius Hildae Rufique, redemptus est poena XXIV solidorum. Gislebertus praefectus Salvinarum poenam accepit in vigilia Sanctae Luciae primo anno Gundulfi regis nostri. Cuius rei testes sunt Adalberga uxor Gisleberti nobilissima, filia Mathildis Eginhardique; Marcolfus iudex minor Salvinarum, filius alterius Marcolfi Terentiaeque; Emma scriptrix praefecti, filia … ‹«
»Das genügt schon, danke«, unterbrach Paulinus. »Und das nennst du ›nicht so gut‹? Deine Betonung ist doch schon brauchbar. Daraus kann etwas werden.«
Wulf hatte einmal tief Atem geholt, während sein Enkel gelesen hatte, doch nun bemerkte er nur leichthin: »Ihr habt ein interessantes Beispiel ausgewählt, Magister Paulinus.«
»Nicht wahr?« Herrads Lächeln war noch breiter geworden. »Es ist eben erst frisch aus Padiacum eingetroffen.«
»Mein Freund dort weiß, wie man Eilboten zu fassen bekommt«, setzte Paulinus hinzu.
Wulfila wusste noch immer nicht recht, ob er verstanden hatte. »Heißt das, der Freikauf war gültig?«, fragte er am Ende so leise und vorsichtig, als
Weitere Kostenlose Bücher