Tricontium (German Edition)
die er nicht beachtet hatte, ihr Messer in den Leib stieß und dann ihr Pferd durch die schwache Stelle der Kriegerkette drängte, hinein zwischen die kahlen Bäume. Es war neben dem Schrecken angesichts des Unfassbaren gewiss der Schutz der Götter, der alle Pfeile fehlgehen ließ, als Bara und Perlenkranich ihr mit dem Mut der Verzweiflung nachsetzten. Das gute Omen der beiden Schwäne musste ein Versprechen höherer Mächte gewesen sein und sie blieben wohlgesonnen, denn Bara und seine beiden Begleiterinnen entkamen im Wald ihren Verfolgern, auch wenn sie sich erst sicher zu fühlen begannen, nachdem sie sich zwei Tage lang durch unwegsames Gelände vorangequält hatten, immer in die falsche Richtung, tiefer in die Hügel hinein, fort vom Fluss und vom Winterlager des Stammes, dem sie sich hatten anschließen wollen.
Perlenkranich sprach nicht viel, doch das schrieb Bara ihrer Erschöpfung und den Aufregungen der Flucht zu. Erst als sie am dritten Abend eine verlassene Köhlerhütte fanden und Perlenkranich noch immer nicht lächelte, als er ihr den ersten Tee der Reise bereitete, erkannte er, dass sie nicht zufrieden war. »Was fehlt dir?«
Perlenkranich trank nicht, sondern sah zu Boden. »Ich hatte nie einen Sohn«, sagte sie dann, »doch die Kinder in Saburs Zelt waren mir über die Jahre wie meine Kinder. Nun ist sein ältester Sohn, der wie mein Sohn war, tot von der Hand deiner Tochter.«
Bara wollte tröstende Worte sagen, doch in Asris Augen stand Feuer und sie erwiderte: »Du bist eine undankbare Frau. Wärst du lieber dort bei der Furt gestorben? Der Tod meiner Mutter war dir willkommen und Saburs Tod ebenfalls. Wie kannst du da um einen Mann klagen, den du ohnehin nie wieder gesehen hättest?«
»Du hast schlecht gehandelt; nun redest du schlecht«, sagte Perlenkranich kalt.
Bara sah ihren Kummer und den seiner Tochter und traf seine Wahl. »Nein. Du hast gut gehandelt.«
Perlenkranich wandte sich ab, doch Bara ließ sich davon nicht anfechten, sondern flocht einen Zopf aus Pferdehaar und nähte ihn an Asris Mantel, wie es sich gehörte, um anzuzeigen, dass ein junger Krieger siegreich aus seiner ersten Schlacht zurückgekehrt war. Dann sang er die Lieder, die einem solchen Anlass angemessen waren, und strengte sich an, die Geister, die seine Tochter in künftigen Kämpfen schützen würden, in den Flammen zu sehen. Doch darin war er nicht geübt und er war sich nicht sicher, ob er tatsächlich den Umriss eines Tigers erkannte. Asri gegenüber erwähnte er seine Zweifel damals noch nicht und sie freute sich sehr über den starken Tigergeist. Perlenkranich aber schwieg.
Bara wollte in dieser Nacht Wache halten, doch die vorangegangenen Tage hatten ihn so ermüdet, dass er kauernd einschlief. Als er in der Morgenkälte erwachte und in der Feuerstelle nur noch die Asche des Vorabends fand, war Perlenkranich verschwunden, ihr Pferd und ein wertvoller Kelch aus Baras Kriegsbeute mit ihr.
»Willst du sie suchen?«, fragte Asri, nachdem er sie geweckt hatte, doch Bara machte eine abwehrende Handbewegung. Weiter sprachen sie nicht über Perlenkranich, sondern nur darüber, wohin sie sich nun wenden wollten. Da Blut geflossen war und er sich doppelt gekränkt fühlen musste, hätte Nurkhan sie bei den Leuten, zu denen sie zunächst hatten flüchten wollen, gesucht und gefunden. So besann sich Bara auf die Gegenden, die er im letzten Sommer kennengelernt hatte, und die Brocken fremder Sprachen, die er in jüngeren Jahren von den Händlern aufgeschnappt hatte. Es konnte nicht so schwer sein, nach Westen zu gehen, wo sie niemand so rasch vermuten würde.
Vieles, was Asri dort später tat, behagte ihm nicht; so ließ sie sich taufen, während er wenig mit dem seltsamen Glauben der Christen anfangen konnte, und beharrte halsstarrig darauf, sich ihrer Seidenstickerei zu widmen, obwohl aus ihr eine gute Kriegerin hätte werden können. Doch er stand zu den lobenden Worten an sie, die ihn Perlenkranich gekostet hatten, und bereute den Ausgang der Sache weder, als er in der Umgebung von Corvisium in kleinem Rahmen mit Pferden zu handeln begann, noch danach, als sie in Sala lebten.
Irgendwann in diesen späteren Jahren hörte er, dass es Perlenkranich nach Corvisium verschlagen hatte, wo sie mit einem Schmied zusammenlebte. Bara suchte sie nie auf, doch als er alt und krank wurde und sein Ende nahen fühlte, dachte er wieder an die Frau, um derentwillen er Freunde und Verwandte zurückgelassen hatte, und
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