Tricontium (German Edition)
hinaufstieg, und war fast gerührt zu sehen, wie sich einige zu freuen schienen, dass er Rambert dabeihatte.
In der Küche war Oshelm damit befasst, auf Wulfila einzureden, der so tat, als höre er geduldig zu; wahrscheinlich waren ihm die Erklärungen des ersten Schreibers nicht neu.
»Wenn Ardeija Khan auch schon hier ist, können wir wohl aufbrechen«, sagte die Richterin, die eben damit befasst war, ihren Schleier festzustecken.
Ardeija verzog das Gesicht, aber er hatte zu fest mit einer solchen Bemerkung gerechnet, als dass sie ihn wirklich hätte ärgern können. In gewisser Weise war er froh, dass Herrad auch an solchen Tagen scherzte, denn das war ein gutes Mittel gegen das halb ehrfürchtige Staunen, das er immer für einen Augenblick empfand, wenn er sie in ihren Gerichtsroben sah; die Jahre hatten das Gefühl nur mildern, aber nie völlig verscheuchen können. Die Herrad der unaufgeräumten Schreibtische und langen Ritte über Land, die einen freundlich oder tadelnd über ihre Teetasse hinweg anblickte, schien in eine andere Welt zu gehören als die Richterin, deren Haar unter einer makellos weißen, eng anliegenden Haube und einem schlichten Schleier verborgen war. Die schwarze Robe mit den weiten Ärmeln, aus denen das rote Futter hervorleuchtete, ließ ihre Gestalt nur erahnen und das hochgeschlossene Untergewand aus dunkler Seide verstärkte den Eindruck von Unnahbarkeit noch.
Als Herrad an ihrem ersten gemeinsamen Gerichtstag die Wirkung ihrer ungewohnten Kleider auf Ardeija bemerkt hatte, hatte sie gelacht. »Was wollt Ihr, Herr Ardeija? Heute bin ich das Gesetz des Königs in Aquae!«
Trotz ihrer Heiterkeit hatte er gespürt, wie ernst es ihr damit gewesen war, und das hatte er nie vergessen; vielleicht empfand er auch deshalb immer wieder kurz die ursprüngliche Scheu. Heute aber war etwas anders, als es um diese Jahreszeit hätte sein sollen. Wäre er nicht Asris Sohn gewesen, hätte er es vielleicht übersehen, doch die lebenslang anerzogene Gewohnheit, auf eigene und fremde Kleider gut zu achten, ließ sich selbst an einem Gerichtstag und Frau Herrad gegenüber nicht ablegen.
»Ist das nicht Eure Sommerrobe?«, fragte er in der Annahme, dass ein Versehen vorliegen müsse. »Ihr werdet frieren!«
Doch die Richterin sah nicht überrascht an sich hinunter. »Auf die musste ich zurückgreifen, weil jemand es versäumt hat, rechtzeitig einen Fleck aus meiner Winterrobe zu entfernen. Ich werde bis zum nächsten Gerichtstag eine neue anschaffen müssen, obwohl ich eigentlich gehofft hatte, um die Ausgabe dieses Jahr noch herumzukommen.«
Freda hatte es auf einmal sehr eilig, nach einem Besen zu greifen und damit im Schlafzimmer zu verschwinden.
Herrad sah ihr kopfschüttelnd nach und fuhr fort: »Darunter habe ich zwei Hemden und meine Reithosen; das müsste ausreichen, den Tag zu überstehen, ohne zu erfrieren, meint Ihr nicht? – Alle bereit? Dann können wir ja gehen.«
Da sie auf dem Weg zur Tür, die Oshelm ihr aufhielt, ein Lächeln für Rambert übrig hatte, nahm Ardeija an, dass sie an der Anwesenheit des Mädchens nichts auszusetzen fand.
Auf die freundliche Aufnahme, die Rambert zuteilgeworden war, schien sich Ardeijas Glück heute allerdings auch beschränken zu wollen. Bevor der Tag auch nur halb herum war, hatte er schon eine Schlägerei zwischen den Mitgliedern zweier Familien trennen müssen, die sich um die Mühlenrechte in einem Dorf westlich von Aquae stritten, war als Stellvertreter eines ältlichen Wollhändlers zu einem Gerichtskampf herangezogen worden und war gezwungen gewesen, Medardus, der beinahe einen dritten Schlüssel zerstört und wortreich die im Praetorium umgehenden Geister dafür verantwortlich gemacht hatte, leise die Meinung zu sagen.
Nach diesem vielversprechenden Beginn blieb natürlich auch das nicht aus, was er heimlich befürchtet hatte. Frau Herrad wollte mit dem Münzfälscher, den noch die Leute des alten Vogts ergriffen hatten, keine Milde üben. Bei jemandem, den sie in der Vergangenheit schon mehrfach für kleinere Vergehen verurteilt hatte, stand es in ihrem Ermessen, die Ablösung der Strafe durch eine Buße zu verweigern, und genau das tat sie, gewiss vor allem um der Gerechtigkeit willen, vielleicht aber auch, weil sie schlicht genug davon hatte, den Mann alle paar Monate vor sich zu sehen. Dass sie auf ein Brandmal und zwei Jahre in den Steinbrüchen entschied, war auch nicht weiter verwunderlich und durchaus angemessen, aber Ardeija
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