Tricontium (German Edition)
Mal erlebt habe«, sagte Ardeija und wünschte sich fast, sie hätte nicht so mutig sein wollen.
Rambert lächelte, halb stolz, halb schief. »Ich habe Herrn Wulfila gefragt, ob es so schlimm ist, wie es aussieht.«
Ardeija wusste nicht, ob er gern hören wollte, was Wulfila darauf gesagt hatte; es war ihm unangenehm genug, dass Rambert seinen Freund überhaupt in die Verlegenheit gebracht hatte, antworten zu müssen. »Du hättest ihn nicht fragen sollen«, sagte er tadelnd.
Wulfila unterbrach sein Mittagessen. »Wen denn sonst?«, fragte er; die Heiterkeit wirkte nicht aufgesetzt. »Die Erfahrung habe ich euch allen nun einmal voraus.«
Ardeija sah zu Boden. »Es gehört sich dennoch nicht«, sagte er dann an Rambert gewandt. »Hast du dich entschuldigt?«
»Wofür?« Wulfila lächelte noch immer. »Es war doch eine berechtigte Frage. Ich habe ihr gesagt, wie es ist – und dass euer alter Bekannter heute besser daran getan hätte, sich zusammenzureißen.«
Ardeija hatte vieles erwartet, aber nicht das.
»Ja«, fuhr Wulfila auf seinen erstaunten Blick hin fort. »Was willst du? Angenehm ist es nicht, aber auch kein Grund, eine Richterin unflätig zu beschimpfen.«
Ardeija schüttelte den Kopf. »Was hast du denn damals gesagt? ›Danke, Frau Herrad‹?«
Kaum, dass er gesprochen hatte, tat es ihm schon leid, aber er kam nicht dazu, sich zu entschuldigen, da die Richterin sich einmischte. »Ihr werdet lachen, aber das hat er gesagt, sogar fast wörtlich.«
Ardeija verschluckte sich.
»Allerdings wird er nicht das Brandmal gemeint haben«, setzte Herrad hinzu, »sondern eher, dass ich seinen Sohn gehalten habe. Auf meinem Arm war Wulfin nämlich still, nachdem drei Krieger keinen Erfolg damit hatten, ihn ruhig zu bekommen. Bei mir hat er nicht geschrien.«
»Vielleicht hat er gespürt, dass du es gut mit ihm gemeint hast«, sagte Wulfila und biss wieder in seine Teigtasche.
Herrad hob die Schultern. »Gewundert hat es mich jedenfalls nicht«, sagte sie. »Ganz gleich, was der Rest der Welt von mir hält, Hunde und kleine Kinder mögen mich eigentlich immer.«
Ardeija dachte bei sich, dass die Hunde und Kinder vielleicht auch vernünftiger waren als die meisten anderen Leute, denen Herrad sonst begegnete. Er kam nicht dazu, der Richterin diese Überlegung mitzuteilen, denn sie wischte sich schon die Finger an einem Handtuch ab, das jemand, vielleicht eingedenk des traurigen Schicksals der anderen Robe, dem Essenskorb beigelegt hatte.
»Beeilt Euch jetzt ein wenig!«, befahl sie. »Der Nachmittag wird lang genug werden, besonders die Sache mit dem Zauberer. Das Niedergericht war wirklich besser. Da habe ich zumeist verstanden, was genau dem Angeklagten vorgeworfen wurde.«
»Das ist doch auch hier einfach«, sagte Oshelm mit verdächtig zuckenden Mundwinkeln. »Er hat seinem Ankläger Rückenschmerzen beschert. Und einen Riss im Ärmel!«
Die Richterin und ihr zweiter Schreiber schienen diese Worte nicht sonderlich rätselhaft zu finden, denn sie begannen zu lachen; in der Kanzlei war wohl schon viel über diese Sache gescherzt worden.
Ardeija war gar nicht nach einer lustigen Geschichte zumute, aber Frau Herrad schien zu glauben, dass sein bedrücktes Gesicht ein heimliches Verlangen nach Ablenkung und Aufheiterung verbarg, denn sie begann ohne weitere Umstände, ihm die Grundzüge des Falls zu schildern. »Passt auf … Der Mann wird uns unter dem Verdacht geschickt, ›für Leib und Leben gefährlichen Schadenzauber‹ gewirkt zu haben. Die Anklage kommt von Fortunatus, seines Zeichens Teehändler und Euch gewiss nicht unbekannt. Fortunatus besitzt einen Obstgarten oberhalb des alten Mithraeums. Gleich neben seinem liegt der Garten einer Goldschmiedin namens Domitia. Auf der Grenze steht ein Baum mit Winteräpfeln, um die man sich schon seit Jahren streitet, bisher allerdings, ohne die Gerichte zu bemühen. Domitia ist mit einem gewissen Remigius verheiratet – das ist unser Magus, der sein Brot hauptsächlich damit verdient, Schädlinge und Ungeziefer durch unfehlbare Zaubermittel von Äckern zu vertreiben. Im Herbst ist er daher häufig auf den Dörfern unterwegs, weil seine Dienste besonders nützlich sind, wenn er gewisse Vorkehrungen schon während der Winteraussaat trifft. Daher kümmert sich gewöhnlich seine Frau gemeinsam mit den drei Töchtern um die Apfelernte. Habt Ihr alles so weit verstanden?«
»Ja.«
»Gut, ich auch. Verwirrend wird es erst, wenn wir zum eigentlichen Geschehen
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