Trieb
müssen.«
»Dann sollten wir die kostbare Zeit nicht mit Plaudereien vertun.« Alan Benson begab sich grimmig entschlossen in die Diele. »Zeigen Sie mir die Leiche. Bernd, du bleibst bei Anna.«
98
»Du bist ja richtig gut geworden!« Aidan prügelte auf das Gamepad ein, ohne dass es ihn zum Erfolg führte.
Obwohl Tabori sich die letzten Minuten nicht einmal mehr viel Mühe gegeben hatte, triumphierte er zum zweiten Mal in Folge über seinen Freund. »Ich habe trainiert.«
»Warte nur ab!«, schwor Aidan. »Das nächste Spiel verlierst du.«
»Nein, ich mag nicht mehr.«
»Warum nicht?«
»
Street Soccer
ist langweilig.« Tabori legte das Gamepad zurück in die Ablage. »Ich wollte mir ein Kapuzenhemd kaufen. Magst du mitkommen?«
Aidan zeigte nach draußen. Mit dem Nachmittag war die Dunkelheit angebrochen, aber in den hell erleuchteten Geschäften herrschte nach wie vor reger Betrieb. »Es ist doch noch so viel Zeit, und …«
»Ich wollte auch Ohrringe für Gentiana kaufen.«
»Für die Katze?«
»Nein, für Gentiana in Gracen.«
»Du willst schon zurück nach Albanien?«
»Quatsch! Ich will mir doch noch eine richtige Arbeit suchen.«
In Aidans Gesicht spiegelte sich Erstaunen. »Aber ich dachte, du hast Arbeit? Du hast doch gesagt, dass du Geld verdient hast. Oder etwa nicht?«
Nein, so hatte es Tabori nicht formuliert. Eigentlich hatte er überhaupt kein Wort darüber verloren, weil es ihm unangenehm war. »Nein, es war eher ein Geschenk.«
»Ein Geschenk?« Aidan ließ das Gamepad sinken. Misstrauisch schaute er Tabori an. »Aber wer schenkt dir denn Geld für ein Shirt und … für Ohrringe für deine Freundin?«
»Sie ist nicht meine Freundin.«
»Das ist doch jetzt egal!«
»Aber warum bist du plötzlich so aufgebracht?«
»Weil niemand einem kleinen Jungen einfach so viel Geld schenkt! Niemand, verstehst du?«
»Doch, Ludwig!« Jetzt hatte er sich verraten.
Aidans Stimme überschlug sich. »Wer … ist … Ludwig?«
Einige der Kaufhauskunden drehten sich bereits zu ihnen um. Auch eine Verkäuferin ließ sie nicht mehr aus den Augen. Leise sagte Tabori: »Ich kann bei ihm schlafen.«
»Warum?«
»Weil ich sonst auf der Straße …«
»Nein, warum?«, schrie Aidan. »Sag mir, warum er dich bei sich schlafen lässt?«
»Weil er nett ist.«
»Wie? Nett?«
Was war denn daran so schwer zu verstehen? »Nett. Wie ein Freund eben, weißt du?«
In Aidans Augen flackerte es gefährlich. Aus seinen Worten sprach grenzenlose Enttäuschung. »Und ich dachte, du wärst anders.«
Tabori begriff gar nichts mehr. »Was soll das heißen? Was meinst du damit?«
»Du hast versprochen, dass du anders bist als Miro.«
Tabori war bestürzt. »Aber das bin ich doch.«
»Bist du nicht.« Aidan schmiss das Gamepad zu Boden, wo es mit einem Scheppern zerbrach. »Du bist auch so ein Homo!«
Die
Saturn-
Mitarbeiterin stampfte entschlossen auf sie zu. Die zotteligen Haare fielen ihr ins Gesicht. Mit einer zornigen Handbewegung fegte sie sie beiseite, bevor sie ein paar Meter vor ihnen anhielt und sie anstarrte.
»Aber …?« Tabori suchte nach einer Erklärung. Doch eine Erklärung wofür? »Wir können das Geld gerne teilen«, schlug er vor.
»Bah«, spie Aidan abfällig aus.
»Dann lass uns eben wieder gemeinsam arbeiten. Und wenn ich erst einmal Ryon wiedergetroffen habe, dann kann er uns beiden, dir und mir …«
»Mit dir möchte ich nichts mehr zu tun haben.« Aidan verpasste ihm einen Stoß. Auf Deutsch sagte er: »Tabori, du Homo!«
Tabori prallte gegen die Spielkonsole. Sie wankte, drohte zu stürzen. Gerade noch rechtzeitig konnte er sie auffangen. »Aidan, was bedeutet das?«
»Das weißt du doch genau!«
War alles vielleicht doch nur ein Witz? Tabori zwang sich zu einem Lächeln.
Als Aidan es erwiderte, entspannte er sich. Alles war nur ein Scherz gewesen. Ein dummer
shaka.
Aber als er die PlayStation zurück an ihren Platz rückte, machte Aidan kehrt und sprintete zum Ausgang.
99
Kalkbrenner führte Alan Benson durch das Institut für Rechtsmedizin der Charité. Der Mann schien ihm beherrscht, fast schon gleichmütig zu folgen. Muth dagegen, die neben ihm lief, zog ihre Lederjacke immer enger um den Leib. Die ewige Stille auf den weiß gefliesten Fluren gemahnte an das, was hinter den Türen lauerte: der Tod. Schon an normalen Tagen war es in der Gerichtsmedizin wenig einladend, doch heute war die Atmosphäre noch beklemmender.
Auf einer Metallbahre im Obduktionssaal
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