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Trieb

Trieb

Titel: Trieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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bewusstlose Frau gerichtet hatten. Als sie drinnen wieder die Augen aufschlug, hetzte ihr Blick zwischen den Menschen hin und her, die sich in dem Wohnzimmer versammelt hatten.
    Da die Jalousien heruntergelassen waren, tauchten statt Tageslicht ein halbes Dutzend Leuchten das Zimmer in unwirkliche Helligkeit, die in den Pupillen schmerzte. Ein Mann, der sich als Manuels Stiefvater vorstellte, machte sich gnädigerweise daran, einige Lampen zu löschen.
    Sein Bruder, anscheinend ein bekannter Künstler, dessen Name Kalkbrenner in letzter Zeit irgendwo gehört hatte, ließ sich neben seiner Schwägerin nieder. »Wie geht es dir?« Seine Stimme war sanft.
    Anna Bensons Augen waren starr auf Kalkbrenner gerichtet. Ihr Gesicht hatte jede Farbe verloren. Sie öffnete den Mund, doch über ihre Lippen kam nur ein krächzender Laut.
    Sie weiß es
.
Aber sie will es nicht glauben.
Kalkbrenner suchte nach den richtigen Worten. Aber hier gab es weder richtig noch falsch. Es gab einzig und allein die Wahrheit.
Aletheia.
Komisch, dass er ausgerechnet jetzt daran denken musste. »Es tut mir sehr leid. Seit heute Morgen ist es traurige Gewissheit, dass …«
    »Nein!«, schrie Anna Benson. Es war ein einziger verzweifelter Laut, der aus ihrem Mund drängte, aber dennoch allen erdenklichen Schmerz einer Mutter, die ihr Kind verloren hatte, zum Ausdruck brachte. »Nein!«
    Sie presste die Hände auf die Ohren, wollte nichts hören.
Wenn sie es nicht hört
,
dann existiert es für sie nicht. Noch nicht.
Ihr Mann wollte sie in den Arm nehmen, aber sie wehrte sich und schlug nach ihm. Dann steckte sie die Finger fest in ihre Ohren und rollte sich auf dem Sofa zusammen. Machte sich so klein, als hätte sie vor, im Polster zu versinken.
    »Wo ist …?«, fragte Alan Benson mit zittriger Stimme. »Ich meine: Wo haben Sie ihn gefunden?«
    Wie Kalkbrenner solche Momente hasste: Worte, die klangen, als würde man sich über irgendwelche verloren geglaubten Geldbörsen, Schlüsselanhänger oder andere Nichtigkeiten unterhalten, die aber in Wahrheit schmerzhaft an die gesunde Psyche rührten. »In einem Park in einem Industriegebiet bei Schmargendorf.«
    »Wo soll das sein?«
    »Am südwestlichen Rand Berlins.«
    Ein Zucken erfasste Manuels Mutter. Erst die Finger, den Arm, dann begann ihr ganzer Körper unkontrolliert zu beben. »Das muss ein Irrtum sein!«, kreischte sie.
    »Und Sie wissen unbezweifelbar, dass es sich um Manuel handelt?«, wollte ihr Mann wissen.
    Tatsächlich konnte Kalkbrenner diese Frage nur ausweichend beantworten, denn außer der Mitteilung Dr. Salms und dessen Anweisung, den Eltern die traurige Nachricht zu überbringen, wusste er zur Stunde über keine weiteren Details Bescheid, von den spärlichen Informationen der Zeitungen mal abgesehen, die er auf dem Weg nach Prenzlauer Berg überflogen hatte.
    »Wir müssen den gefundenen Körper identifizieren«, ergriff Alan Benson die Initiative.
    Die Mutter schnappte nach Luft. »Auf keinen Fall!«
    »Das müssen Sie tatsächlich nicht«, beruhigte sie Kalkbrenner. »Wir können alles über einen DNA-Abgleich erledigen.«
    »Nein!«, widersprach Alan Benson. »Ich werde das machen. Umso eher haben wir Gewissheit.«
    »Wissen Sie, ob Manuel jemanden in Schmargendorf kannte?«, mischte sich jetzt Muth in das Gespräch ein. »Jemanden, den er dort besucht haben könnte?«
    Alan Benson barg das Gesicht seiner Frau in den Händen. »Nein, davon weiß ich nichts.«
    »Und was ist mit Ihnen, Frau Benson? Wissen Sie, ob Ihr Sohn Freunde in Schmargendorf hatte?«
    Ihr Blick war abwesend, weit entfernt, an einem anderen Ort. Oder in einer anderen Zeit. »Er war doch noch vorgestern bei mir. Ich meine, ich habe ihn doch noch zur Schule gebracht, ihm durchs Haar gestreichelt. Ich habe ihm einen Kuss gegeben. Ich kann ihn noch immer riechen. Er ist noch hier, bei mir.«
    »Hatte Manuel einen Grund, nach Schmargendorf zu fahren?«
    »Nein, das kann nicht sein. Das ist alles nicht wahr. Manuel kommt wieder zurück.«
    »Frau Benson, bitte, wir müssen der Spur des Mörders …«
    »Nein!« Mit einem herzzerreißenden Schrei erhob sie sich vom Sofa und torkelte dann wie betrunken durch die Diele ins Kinderzimmer. Die Tür knallte.
    »Musste das denn sein?«, schäumte ihr Schwager. »Haben Sie nicht gesehen, dass sie unter Schock steht?«
    »Natürlich«, sagte Kalkbrenner ruhig. »Aber bitte, versuchen Sie auch zu verstehen, dass wir die Spur des Mörders so schnell wie möglich aufnehmen

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