Trieb
beeilte Kalkbrenner sich, überzeugt zu antworten, denn auch mit zehn Kilo weniger auf den Rippen glich sein einstiger Kollege immer noch einem, nun ja, nordbulgarischen Bierkutscher.
Dick
wäre eine höfliche Untertreibung gewesen. »Darf ich dir meine Kollegin vorstellen? Das ist Sera Muth.«
Die junge Kriminalkommissarin reichte dem Koloss ehrfürchtig die Hand.
»Und? Arbeiten Sie schon lange mit Paul zusammen?«, fragte Thanner.
»Nein, zwei Monate«, antwortete Muth.
»Zwei Monate erst?« Thanner mühte seinen Leib verschwörerisch über den Tisch. »Und? Wie verhält er sich so bei Ihnen? Ist er immer noch so ein Schweiger? Einer, der am liebsten seinen eigenen Weg geht?«
»Paul ist ein ausgezeichneter Kollege«, blieb Muth diplomatisch.
»Genau, das ist er. Im Grunde kein übler Kerl, und ich weiß, wovon ich rede.«
»Sag jetzt ja nichts Falsches«, warnte Kalkbrenner.
Thanner ignorierte ihn. »Wir haben eine Menge Zeit miteinander verbracht. Hatten auch ziemlich viel Spaß. Paul, kannst du dich noch an diesen einen Abend erinnern? Die ganze Nacht lang lief Deep Purple. Wir haben Wodka getrunken und immer wieder dieses Lied gehört:
Lay Down
,
Stay Down
…«
»Es war
The Bird Has Flown.
«
»Hä?«
»Wir haben
The Bird Has Flown
gehört.«
Thanner zog die wulstigen Augenbrauen zusammen. »Ja, stimmt.
And the bird it has flown. To a place on it’s own. Somewhere all alone.
Und dazu Wodka. Am Ende konnten wir uns kaum noch auf den Beinen halten. Haben’s gerade noch bis nach Kreuzberg geschafft, in eure Wohnung. Wohnt deine Mutter eigentlich noch immer da?«
Bevor Kalkbrenner auch nur überlegen konnte, was er darauf antworten sollte, trompetete Thanner schon weiter: »Und als wir am Morgen fast die FH verpennt hätten, hat sie uns in voller Montur unter die Dusche gesteckt und den Hahn aufgedreht. Eiskaltes Wasser! Die Frau war wirklich erbarmungslos. Aber nett. Hat er Ihnen erzählt, wie sie uns damals immer genannt hat?«
»Thanner und Schimanski«, antwortete Muth schmunzelnd.
Der Dicke machte ein ungläubiges Gesicht.
»Sie ist einfach eine ausgezeichnete Kollegin«, lobte Kalkbrenner.
Endlich deutete sein alter Freund auf eine Frau in dunklem Kostüm, die schon die ganze Zeit neben ihnen gestanden und den Wortwechsel mit wachsender Erheiterung mitverfolgt hatte. Im Vergleich zu Thanner wirkte sie mit ihren Armen und Beinen, die dünn wie Zeltstangen waren, wie eines dieser unsäglichen Hungermodels. »Das ist Louise Beckmann. Meine Kollegin. Und nein, bevor ihr fragt, ich futtere ihr nicht heimlich das Lunchpaket weg.«
Beckmann verdrehte die Augen. »Sie wissen ja, wie er ist.«
»Stimmt, er scheint sich nicht verändert zu haben.« Kalkbrenner setzte sich mit Muth an den Tisch. Sofort rauschte die Kellnerin heran, eine wohlgenährte Mamutschka mit grellem Lippenstift, der ihr selbst noch im Dunkeln den Weg durchs Restaurant geleuchtet hätte. Die Speisekarte war eher schlicht gehalten, ganz so wie der Rest der
Malzstube.
Die Möbel stammten von Ikea, an einigen Lampen und Blumenvasen klebten sogar noch die Herstellernachweise. Zumeist: »Made in China«
.
Willkommen in der Tschechei.
»Lass dich bloß nicht täuschen«, warnte Thanner, dem Kalkbrenners abschätzender Blick nicht entgangen war. »Das Ambiente ist zwar unterer Durchschnitt, trotzdem kriegst du hier das beste
Veprová Pecene
der ganzen Stadt.«
»Ich wäre beruhigter, wenn du mir noch sagen könntest, was das überhaupt ist.«
»Das tschechische Nationalgericht mit mährisch Kraut und Knödeln. Einfach nur lecker. Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede.«
»O ja, das stimmt«, seufzte Beckmann dramatisch, was Thanner mit einem Wiehern quittierte.
Paul Kalkbrenner folgte bei der Essenswahl der Empfehlung seines Freundes, Beckmann entschied sich für gebackenes Schollenfilet mit Kartoffeln und Dillrahmsoße, und Muth äußerte den Wunsch nach einem vegetarischen Gericht, was die Kellnerin vor ein ernsthaftes Problem stellte. Erst nach freundlichem Zureden konnte sie dazu bewogen werden, den Koch um eine warme Gemüseplatte zu bitten.
Als sie wieder unter sich waren, wollte Kalkbrenner endlich seine Neugierde stillen: »Also, in welcher Abteilung arbeitet ihr?«
Der Hüne Thanner klopfte mit den Knöcheln der rechten Hand auf seinen schwergewichtigen Leib. »Fleisch. Abteilung Fleisch. Um genau zu sein: in der Einsatzgruppe ›Fleisch‹ beim LKA. Und meine Louise hier ist … Ach, warum erzählst du nicht
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