Trigger - Dorn, W: Trigger
wenn eine Flasche auf den Ziegelboden gefallen und geplatzt war. Und es war tatsächlich kalt und rabenschwarz. Nur da, wo das Licht durch den Spalt fiel, konnte man den Lehmboden und die Steinwand erkennen. Sonst sah man hier nichts.
»Komm wieder raus«, hörte sie Nicole sagen. Sie hatte sich dicht gegen das Holz gelehnt und lugte seitwärts durch den Spalt, so dass fast kein Licht mehr in den Raum fiel.
»Ja. Ist echt ganz schön gruselig hi…«
Urplötzlich gaben die Türangeln unter Nicoles Gewicht nach. Nicole war sicherlich kein Schwergewicht – im Gegenteil, sie hatte mal erzählt, dass die Jungs in ihrer Klasse sie Bohnenstange nannten, weshalb sie seither heimlich Schokolade in sich hineinstopfte -, aber sie hatte wohl doch zu fest gegen die Tür gedrückt, um Lara und vor allem den Raum dahinter gut sehen zu können. Kreischend fiel die Tür zu, der Riegel schnappte ein, und Lara blieb in völliger Dunkelheit zurück.
»He, mach wieder auf!« Laras Stimme hatte in dem ehemaligen Eiskeller einen seltsamen Widerhall.
Wie von einem Gespenst, das so tut, als sei es mein Echo.
»Geht nicht!«, kam es von außen.
Lara hörte ein dumpfes Trommeln auf dem Holz und Nicoles Stöhnen. »Ich krieg den beschissenen Griff nicht mehr runter. Der klemmt!«
Nun überkam Lara Panik. Die erste Panik ihres Lebens. Schlimmer als alle Fünfen in Mathe, die sie je nach Hause gebracht hatte – eigentlich war es nur eine gewesen -, schlimmer als die Hausaufgaben vergessen zu haben oder beim Knall eines Überschallflugzeugs über dem Pausenhof so zu erschrecken, dass etwas in die Hose ging. Schlimmer als alles, was sie kannte.
Sie schrie, hämmerte mit den Fäusten gegen die Tür, fürchtete sich vor der Dunkelheit und stellte sich vor, wie etwas im Dunkeln aufstand und auf sie zukam. Wie sie hier nie wieder herauskommen würde, wie sie hier allein in tiefster Schwärze verhungern und verdursten müsste.
»Lass mich raus! Lass mich wieder raus! Bitte, bitte, bittebittebitte!«
Doch nichts tat sich. Die Tür blieb zu. Lara trommelte von innen, Nicole von außen. Sie drückten gegen das Holz, warfen sich dagegen, aber es war vergeblich. Es war, als wollten zwei Ameisen die alte Heuscheune neben dem Weizenfeld am Waldrand umwerfen.
»Ich hol Hilfe!«, schrie Nicole von draußen.
Jetzt drehte Lara erst recht durch. Wenn Nicole ging – ganz gleich, ob sie Hilfe mitbrachte oder nicht -, dann war sie hier ganz allein. Allein in einem schwarzen Kellerloch mitten im Wald, noch dazu an einem verfluchten Ort, wo die Menschen vor vielen Jahren Sterne auf die Steine gemalt hatten, um die bösen Geister eines Verrückten und seiner ermordeten Familie zu bannen.
Keine Sterne, es sind Drudenfüße , Dummchen, flüsterte ihr eine unheimliche Stimme zu, von der sie nicht wusste, ob sie in ihrem Kopf war oder nicht vielleicht doch von jemandem stammte, der unmittelbar hinter ihr stand. Jemand
oder etwas, mit langen Zottelhaaren, glühenden Augen und scharfen Krallen.
Jaaaaaa, seeeeehhhhr scharrrrrfe Krallen!
»Nein! Bitte nicht! Lass mich nicht allein!«
Doch von der anderen Seite kam keine Antwort mehr.
»Neeeeiiiiiiiiinnnn!«
Lara schrie und kreischte, hämmerte gegen die unnachgiebige Holztür und rief Nicoles Namen.
Doch Nicole war nicht mehr da.
Zuerst dachte Harald, es sei alles nur ein Spiel. Vielleicht Verstecken – die Kinder im Dorf sagten auch Versteckus dazu -, nur ein wenig anders.
Er schaute Nicole hinterher, wie sie über die Lichtung rannte und im Wald verschwand. Wenn sie so weiter lief, würde sie irgendwann hinunter ins Dorf gelangen. Das Erste, was man dann zu sehen bekam, war die Straße und kurz dahinter die ARAL-Tankstelle mit der Autowerkstatt ihres Vaters.
Er hörte Laras Schreie, die seltsam gedämpft klangen, so als kämen sie von irgendwo unter dem Boden. Sie machte das gut, fand er. Es klang ziemlich überzeugend. Vielleicht spielten sie gar nicht Verstecken, sondern etwas wie Supergirl rettet das Mädchen aus dem Verlies, überlegte er.
Ja, das konnte hinkommen. Nicole war schließlich auch blond, so wie Supergirl im Comic. Zwar passte das bunte Kleid nicht so richtig zu diesem Spiel, es hätte ein blau-rotes Kostüm mit gelbem Gürtel und roten Stiefeln sein müssen, und Nicole hatte auch keinen Umhang – ein Cape, wie es eigentlich hieß -, aber man brauchte ja auch nicht immer das passende Kostüm, wenn man nur genügend Fantasie
hatte. Und so wartete Harald ganz gespannt, wie diese
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