Trigger - Dorn, W: Trigger
geschwollen, aus ihrem Mundwinkel lief Blut, und ihre Jeans war mit Grasflecken übersät. Auch reichte der Reißverschluss ihrer Lederjacke nicht weit genug, um den zerrissenen Ausschnitt ihres T-Shirts völlig zu verbergen. Zudem roch sie nach Pfefferspray. Thieminger trat hinter seinem Empfangspult einen Schritt zurück, und Ellen erlebte nun zum ersten Mal, dass ein Mann wegen ihres Geruchs die Nase rümpfte. Zwar nur kurz, und gleich darauf war er wieder der höfliche Hotelier, aber es versetzte ihr dennoch einen Stich.
Thieminger blieb, wie es sich gehörte, während ihrer kurzen Unterhaltung freundlich und zuvorkommend. Er besorgte ihr sogar etwas Desinfektionsmittel und Pflaster, während sie das Formular für das Zimmer ausfüllte.
Allerdings brauchte er dafür etwas länger als üblich, und als er ihr ihre Kreditkarte zurückgab, vermutete sie, dass er seinen Weg zum Verbandskasten mit einem kurzen Anruf bei der Kreditkartengesellschaft verbunden hatte. Gottlob
war mit Ellens Karte, auf deren Rückseite sich ihr Foto befand, alles in bester Ordnung.
Thieminger gab vor, ihre Geschichte von einem Unfall zu glauben, aber sein mitleidiger Blick sagte etwas anderes.
Ellen glaubte zu wissen, was Thomas Thieminger wirklich zu denken schien, und fand ihrerseits, dass er damit gar nicht so weit danebenlag.
Er wünschte ihr eine angenehme Nachtruhe, und sie ging, leicht hinkend und mit dem Verbandszeug in den zittrigen Händen zum Aufzug.
In gewisser Weise bestand zwischen einem Hotelzimmer und dem Patientenzimmer einer psychiatrischen Klinik kein wesentlicher Unterschied. Bis auf den Fernseher standen in beiden ein Bett, ein Schrank, ein Tisch mit Stuhl, und es gab eine Toilette. Letztere in der Klinik manchmal, in einem Hotel fast immer, nebst Bad oder Nasszelle. Und es hingen Bilder an der Wand. In der Waldklinik vornehmlich eingerahmte Kalenderfotos (ohne Glas), hier im Hotel Kunstdrucke von Franz Marc (hinter Glas).
Auch wenn sich das Hotel durch die Auswahl stilvoller Möbel um mehr Behaglichkeit bemühte, als es in der Waldklinik – schon allein aus Kostengründen – der Fall war, kam sich Ellen dennoch vor, als sei sie im Augenblick mehr Insassin als Gast.
Das lag jedoch weniger an dem Zimmer als vielmehr an ihrer psychischen Verfassung. Die Ereignisse der vergangenen Stunden waren einfach zu viel für sie gewesen. Sie fühlte sich durcheinander und hätte rückblickend nicht jede ihrer Reaktionen als rein vernunftgesteuert bezeichnen können.
Sie nahm sich eine kleine Flasche Diätcola aus der Minibar unter dem Fernsehtisch – ein weiterer Unterschied zur Psychiatrie, wo allenfalls ein Kasten Mineralwasser, eher aber ein Kanister Tee auf dem Flur bereitgestellt wurde – und spülte mit dem kalten Getränk eine Tablette aus dem Blisterstreifen herunter, den sie meistens in ihrer Jacke mit sich trug.
Es war ein relativ schwaches Sedativum, das jedoch in der Lage war, einen heftigen Klinikdienst bisweilen erträglicher zu machen. Sie machte nicht oft davon Gebrauch, dafür wusste sie viel zu gut, wie schnell eine solche Angewohnheit zur Sucht werden konnte. Ärzte mit Suchterkrankungen waren mindestens so verbreitet wie Fotomodels mit Magersucht oder Bauarbeiter mit Alkoholproblemen. Aber heute … heute war ein Tag gewesen, der eine solche Beruhigungspille rechtfertigte.
Eine ganze Weile stand Ellen am Fenster des Zimmers mit der Nummer 204 und starrte in die Nacht hinaus. Als sie wieder etwas zur Ruhe gekommen war, zog sie sich aus und trat vor den Badezimmerspiegel.
Die gute Nachricht war, so vermeldete das Spiegelbild, dass ihr Gesicht weniger in Mitleidenschaft gezogen worden war, als sie anfangs vermutet hatte. Das Blut auf ihrem Kinn stammte von einem Riss im Mundwinkel, der jedoch bald verheilt sein würde. Auch die Schwellung und Rötung der Wange würde bei guter Kühlung schnell abklingen. Ein mit Eiswürfeln aus dem winzigen Kühlschrank neben der Minibar gefüllter Waschlappen, ein wenig von Thiemingers Desinfektionsmittel und etwas Wund- und Heilsalbe würden in ihrem Gesicht kleine Wunder vollbringen.
Schlimmer war es um ihren restlichen Körper bestellt.
Die Zahl der Blutergüsse war beachtlich. Einige davon waren ziemlich groß. Allen voran das Rorschachmuster auf ihrer Brust, gefolgt von den Spuren von Janovs Tritten auf der Bauchdecke.
Doch noch heftiger als die sichtbaren Verletzungen war das, was die Erlebnisse der vergangenen Stunden tief in ihrem Innersten angerichtet
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