Trilogie des Tötens - X-Mas Edition - 3 Thriller (German Edition)
vom Pulverdampf zärtlich umhüllt, bis sie in einem Finale aus choreografiertem Dauerfeuer in einem Blutregen verschwinden, über mir zusammenbrechen, auf mich stürzen.
Die tote Familie liegt auf mir, schnürt mir die Luft ab, die Ohren klingeln noch vom Nachhall der Schüsse, es pocht und knarrt und scharrt und flüstert: Komm, der Fährmann wartet! Wir warten auf dich! Sie strecken die Hände nach mir aus, krallen sich mit blutigen Fingern in meine Kleider, wollen mich an das Ufer zerren, aber noch sträube ich mich. Der Fährmann verharrt in der Mitte des Flusses, starrt zu mir, die Arme auf das Ruder gestützt, als würde er auf ein Zeichen warten. Aber ich habe nichts, was ich ihm bieten kann. Ich habe nichts, um den Fährmann zu entlohnen, den Obolus zu entrichten. Achselzuckend wendet er die Barke, rudert zurück. Das Licht wird schwach, schwächer, erlischt.
Ich kann nicht atmen, aber hören. Ich höre den Namen Igor Drakovic, ein Name, der sich wie ein Schneidbrenner in mein Inneres frist, wie eine ätzende Flüssigkeit meine Seele zischend brandmarkt, dort wo der glühende Stahl des Royal-Steel-Deckels eine Narbe hinterlassen hat. Dann wird alles schwarz und ich bleibe zurück in absoluter Finsternis.
Das Ufer ist weit weg und in fahles Licht getaucht, doch ich bin nicht dort, ich werde zurückgezogen und weitergereicht, nach oben gehoben, hingelegt und finde mich in einem Feldlazarett wieder. Von einem Massaker spricht jetzt einer der Ärzte, von Auslöschung ein anderer, außer ihm keine Überlebenden, meint ein anderer und deutet auf mich, meint tatsächlich mich, der ich doch tot bin.
Auf den Tischen liegen Fotos und Filmrollen und noch mehr Bilder und Kodakfilme. Das ist einige Monate später, als ich den ausländischen Ärzten dolmetsche und jetzt erst mitbekomme, dass alle Bewohner unseres Dorfes von den Jägern ausgelöscht wurden.
Der Deckel von Royal Steel hat mir das Leben gerettet, der Deckel von Royal Steel wird ihnen den Tod bringen. Daran muss ich denken, wenn ich die Bilder betrachte, die ich in einem unbeobachteten Augenblick vom Tisch entwendet habe, mit dem Deckel in meiner fleckigen Umhängtasche verstaue und mich auf den Weg mache zu der Chirurgin, der österreichischen Ärztin von Ärzte ohne Grenzen, die unermüdlich versucht, das Grauen zu bannen, die versucht, allem einen Sinn zugeben, die mich mit ihren blauen Augen ansieht, die das Grauen gesehen haben, aber es nicht so spürt, wie ich es gespürt habe. Die Zigarette im Mund, lächelt sie mich liebevoll an, als ich wieder einmal für sie dolmetsche und sagt: „Du sollst es besser haben, Stefan!“
Ich nicke gehorsam und antworte artig:
„Natürlich, Frau Doktor Szabo!“
30. Palma: Der letzte Abend
„Hallo Anna!“, sagte Stefan Szabo, als er vor Anna Lange stand, sie mit einem stechenden, ferngesteuerten Blick fixierte, den sie so noch nie bei ihm gesehen hatte, sie dann an den Haaren packte und ihren Kopf nach hinten riss. Heulend zerrte er mit der anderen Hand die Kopfhörer aus seinen Ohren, schleuderte sie zusammen mit dem iPod auf den Boden und brüllte wie ein Tier: „Du störst meine Inszenierung! Du hast hier nichts zu suchen! Weder hier noch bei meinem Finale im Kloster ,Zum flammenden Herzen‘!“
Panisch, nach Luft schnappend, hyperventilierend, drehte sich Anna im Kreis, versuchte sich aus der Schraubstockhand von Szabo zu befreien, der immer heftiger an ihren Haaren riss, um sie auf den Boden zu drücken, in den Staub und in die Finsternis.
Wie ein großer schwarzer Vogel senkte sich die Erinnerung über ihr Denken: Das große Projekt, von dem er öfters gesprochen hatte, die Auslandsaufenthalte, das neurotische Lauftraining und natürlich der iPod mit den weißen Kopfhörern. Deutlich sah sie die elegant designten
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