Trilogie des Tötens - X-Mas Edition - 3 Thriller (German Edition)
mir Royal zum ersten Mal, als sich Mutter an dem silbrig glänzenden, scharfkantigen Deckel in den Finger schneidet und das Blut auf den Küchenboden tropft. Umständlich hält sie den Zeigefinger in die Höhe, so als wolle sie mir drohen, aber in Wirklichkeit versucht sie nur das Blut zu stillen, das aus dem tiefen Schnitt hervorquillt. Fasziniert betrachte ich die Wunde, kann meinen Blick einfach nicht losreißen. Von einer Sekunde auf die andere ist die Haut durchtrennt, teilen sich die tiefer liegenden Schichten, wird das Fleisch aufgeschnitten, Sehnen verletzt – bis auf den Knochen. Nur ein wenig stärker zugedrückt und der Finger ist glatt durchgeschnitten. Merkwürdige Gedanken für einen Jugendlichen, das stimmt. Aber es ist auch ein merkwürdiges Jahr, eine eigenartige Zeit, die aus Freunden plötzlich Feinde macht, in der politische Morde an der Tagesordnung sind und immer wieder Berichte über Plünderungen durch die Presse geistern. Da ist es nicht verwunderlich, dass Kinder und Jugendliche diese düsteren Gedanken im Kopf haben.
Faszinierend, dieser Deckel, der edel glänzende Stahl, oben der schwarze Knopf mit dem geschwungenen R für Royal, natürlich in Gold. Wie ist es möglich, dass der Deckel eines Kochtopfes, eigentlich ein harmloses, vollkommen ungefährliches Produkt, eine derartige Verletzung verursachen kann? Der Rand des Deckels ist scharfkantig, beinahe so scharf wie eine Rasierklinge – das kommt von dem extrem dünnen Stahl, der einerseits den Deckel leicht macht, andererseits aber die Verletzungsgefahr erhöht. Eindeutig ein Produktmangel, denke ich jetzt, ein Mangel, der für mich allerdings jetzt ein Vorteil ist.
Ich helfe Mutter, die Wunde zu verbinden, es ist wirklich ein sehr tiefer Schnitt, tatsächlich wie von einem Rasiermesser. Im Grunde gehört die Wunde genäht, ein Arzt muss her, nur – es gibt in unserem Dorf keinen Arzt mehr, überhaupt ist seit Ausbruch der bewaffneteten Auseinandersetzungen die Infrastruktur völlig zusammengebrochen. Anscheinend befindet sich auch das Wetter im Ausnahmezustand mit den Menschen – die glühende Sonne, der heiße Wind, der den Staub aufwirbelt, sodass Häuser, Hütten und Menschen bald von einer grauen Staubschicht überzogen sind.
Später an diesem Tag kriege ich irgendwie mit, dass Mutter sich bei Vater über die Qualität beschwert und das Ganze dann in einen heftigen Streit ausartet, Türen knallen, Mutter weint wie so oft, verflucht ihr Schicksal, Vater tobt, schlägt mit den Fäusten auf den Tisch – jetzt weiß ich, dass er so ein Ventil für seine Ängste sucht. In dieser lähmenden Hitze aber will er das nicht wahrhaben, so wie er auch unseren Zustand nicht wahrhaben will – noch ist er stark und nichts kann ihn aus der Bahn werfen, er hält die Familie zusammen und beschützt sie – und ich glaube ihm. Doch der Glaube ist ohne Zukunft.
13. Linz: Die sechste Nacht
Erst kurz vor Mitternacht hatte sich Tony Braun von dem Chaos am Bahnhof loseisen können. Es gab eine Menge zu tun, Verletzte mussten versorgt, Zeugen befragt und der Hergang der Bluttat rekonstruiert werden.
Gruber hatte mit seinem Verdacht ins Schwarze getroffen, der auf so grauenvolle Weise getötete Mann war Üzkül Bordar, das stand eindeutig fest. In der Tiefgarage hatte man die beiden Autowracks gefunden und wenig später auf einer der Schnellstraßen das Mädchen Natasha aufgegriffen, die blutüberströmt und unter schwerem Schock stehend den Pannenstreifen entlangtorkelte.
Als dann auch die Identität des zweiten Mannes feststand und die Verbindung zu dem Mädchen einigermaßen klar war, begann das große Theoretisieren von Gruber, den Polizisten und auch den Männern von der Spurensicherung. Bald hatten sich alle auf
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