Trilogie des Tötens - X-Mas Edition - 3 Thriller (German Edition)
der Leitung, spielte einen beruhigenden Song, bis der Webmaster das Zeichen für einen weiteren Anrufer gab.
Ein ohrenbetäubendes Pfeifen erfüllte den Raum und Braun zuckte schmerzhaft zusammen.
„Du musst die Lautstärke deines Radios zurückdrehen, sonst erzeugst du dieses Feedback.“
„Oh, verstehe, tut mir leid.“ Eine Frauenstimme, rauchig und tief.
„Wie ist das, wenn man seine Familie liebt und hasst?“
„Kapiere ich nicht! Erzähl mir mehr“, forderte sie Braun auf und bedeutete Giorgio, ihm noch eine Dose Bier zu bringen.
„Ich habe eine Familie, die ich verabscheue, manchmal sogar hasse. Auf der anderen Seite fühle ich mich nur bei meiner Familie sicher. Die Familie ist mein Selbstbewusstsein!“
Die namenlose Frauenstimme von draußen sprach langsam und schleppend, machte zwischen den einzelnen Worten lange Pausen und schien unendlich müde zu sein.
„Glauben Sie auch, dass man sich freuen kann, wenn jemand aus der Familie stirbt? Oder dass man das Böse in seiner Familie lieben kann?“
„Zunächst einmal ist es doch toll, überhaupt eine Familie zu haben.“
Unruhig rutschte Braun auf seinem Stuhl hin und her. Eine anonyme Frauenstimme aus irgendeinem versteckten Winkel der Stadt, ein schwarzer Wohnblock, nur ein Fenster leuchtet in der Dunkelheit, eine einsame Person an einem Tisch – diese Bilder gingen ihm sekundenschnell durch seinen Kopf.
„Für mich ist die Familie ein Fluch! Man denkt, seine Familie zu lieben und hasst sie gleichzeitig. Tränen der Liebe werden zu Tränen des Hasses, werden zu Tränen des Todes und wieder zu Tränen des Trostes. Und dann beginnt alles wieder von vorn bis ins Unendliche, bis man das Licht am Ende des Tunnels sieht, ohne dass dieses eine Erlösung bringt.“
Die Stimme der Frau wurde schneller, lauter und immer schriller. Giorgio Miller und der Webmaster hinter der Glasscheibe starrten gebannt auf Tony Braun, der mehrmals zur Antwort ansetzte, die Frau aber nicht unterbrechen wollte.
„Doch diese Erlösung gibt es nicht, solange die Familie existiert!“
Abrupt stoppte sie, so, als hätte sie sich wieder unter Kontrolle. Ganz leise redete sie weiter:
„Sagen Sie mir, verhindert eine Familie das wirkliche Leben? Kann es sein, dass man von ihr abhängig wird und auf sein eigenes Leben vergisst?“
„Hör mal, die Familie ist der Rückhalt, kapiert? Meine Familie ist im Arsch, ich wäre froh, wenn ich deine Probleme hätte! Glaube mir, alles würde ich für eine Familie geben!“
Braun räusperte sich und Flüche, Beschimpfungen lagen ihm auf der Zunge. Er wollte dieser anonymen Nervensäge sagen, dass die Ebene plötzlich viel zu persönlich wurde, dass dieses Familienthema zu viel für ihn war, dass er einfach in Ruhe sein Bier trinken wollte. Doch er kam nicht dazu, denn die Frau redete einfach weiter.
„Dachte ich mir schon, dass Sie keine Familie haben! Darum moderieren Sie diese Sendung auch mitten in der Nacht, wo alles schläft und niemand zuhört. Wo nur Menschen wach sind, die niemand mehr haben, die davon träumen, die Augen zu schließen und glücklich aufzuwachen im Kreise ihrer Liebsten! Die aber spüren, dass es aus der schrecklichen Einsamkeit kein Entrinnen gibt, sich aber trotzdem an diesen Traum klammern. Dieser Traum geht jedoch nie in Erfüllung. Für Sie nicht, weil Sie es zu sehr wollen, und für mich nicht, weil ich zu viel davon habe.“
Trockenes Schluchzen war zu hören, dann drang ein lautes Tuten aus den Lautsprechern, denn die Frau hatte spontan die Verbindung getrennt. Reflexartig startete Braun den Song von Nolita von Keren Ann, um sieben Minuten Luft vor dem nächsten Anruf zu haben. Die Tür ging auf und Giorgio Miller schob sich herein.
„Starkes Stück. Tolles Liveerlebnis. Über 300 Hörer sind online und
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