Trinity (German Edition)
romantischen Intentionen auszudrücken, schien er ihr viel zu schüchtern.
Wenn sie Sonntag frei hatte, machte sie gern Ausflüge auf den Mesas und erforschte Gegenden, zu denen ihr in ihrem alten Leben der Zutritt verboten gewesen war. Mrs. Canapelli missbilligte es, dass sie alleine wegging, aber das kümmerte Elizabeth nicht.
Mit Ausnahme der einfachen Soldaten und einigen Zivilarbeitern waren die Leute vom Projekt alle überdurchschnittlich, sowohl was ihre Intelligenz anging, als auch das, was sie taten. Ihr Auftrag war es, die Probleme des Universums zu lösen, und das erfüllte ihr Leben mit Leidenschaft, gab ihnen einen Ansporn, Neues zu entdecken, weil es noch so viel zu entdecken gab. Es war völlig anders als ihre eigene Physikausbildung, wo allwissende Professoren im Grunde genommen gesagt hatten wie es war, ohne dass da Platz für Fragen geblieben wäre, allenfalls für ein wenig Feinabstimmung.
Für sie war das ein erfrischender Wechsel, versetzte sie zurück in die Zeit, in der sie sich für das Studium der Naturwissenschaft entschieden hatte, weil sie sich davon eine Herausforderung versprochen hatte. Vielleicht hätte sie vergessen können, was mit der Bombe geschehen würde, und das Leben hier rückhaltlos genießen. Das hektische Tempo, mit dem die Bombe – »The Gadget«, der Apparat, wie die hier übliche Deckbezeichnung lautete – entwickelt wurde, schweißte die Männer auf eine Art und Weise zu einem Team zusammen, wie das nie zuvor und auch nie wieder nachher der Fall gewesen war. Diese Leute wetteiferten nicht darum, einen Nobelpreis zu gewinnen, oder auch nur die Ersten zu sein, die etwas veröffentlichten – sie bemühten sich, einen Krieg zu gewinnen.
Sie wusste, dass es für sie ungewöhnlich sein würde, in diese Gruppe hineingezogen zu werden, sich einfach im Fluss der Forschungsarbeiten treiben zu lassen; zu vergessen, was sie erlebt hatte und woher sie kam und welche Überzeugungen sie hierher getrieben hatten, da sie ja keine Hoffnung hatte, je in ihre eigene Zeit zurückzukehren. In dem Monat, der jetzt hinter ihr lag, hatte sie immer weniger an Jeff gedacht.
Und was das Allerschlimmste war, sie – Elizabeth Devane! – leistete ihren Beitrag. Sie wusste bereits, wie alles sich steigern würde. Wie der schlafende Hund Jahr für Jahr immer bösartiger wurde; wie die Öffentlichkeit schließlich gegenüber dem gesunden Menschenverstand abstumpfen würde; wie das alles am Ende zu ihrer eigenen verzweifelten Aktion an der MCG-Versuchsstätte führen und schließlich Jeffs Tod verursachen würde.
Unter sich hörte sie ein Pferd traben. Elizabeth stand auf, die warme Kaffeetasse in der Hand, und sah den Abhang hinunter, wo jetzt ein Reiter den Weg heraufkam. Er ritt einen Appaloosa, lenkte ihn die Hügelflanke hinauf zu einem Aussichtspunkt auf der Mesa, wo er auf die Siedlung Los Alamos hinunterblicken konnte. Elizabeth sah, wie dünn der Mann war, sah seine herunterbaumelnden Arme und seine Raubvogelnase. Der Mann drehte sich um, lächelte ihr zu und winkte.
Als er weiterritt, sah sie ihm nach, sah sein ausgebleichtes rotes Flanellhemd. Als er sein Pferd anhielt und sich umdrehte, zeichnete die aufgehende Sonne seine Silhouette. Seine schwarzen Umrisse wirkten wie eine Vogelscheuche. Er wirkte auf eine beunruhigende Art vertraut.
»Oppie macht wieder einmal einen Morgenausritt«, sagte Mrs. Canapelli, die neben ihr aufgetaucht war, ohne dass Elizabeth das bemerkt hatte. »Er wird wohl wieder an etwas ziemlich Wichtiges denken.«
Oppie. Oppenheimer – J. Robert Oppenheimer, der führende Kopf hinter dem ganzen Atombombenprojekt. Blitzartig erinnerte sich Elizabeth, wo sie ihn schon einmal gesehen hatte: in einem Dokumentarfilm über den allerersten Atomtest, Trinity. Im Lichtschein des verblassenden Atompilzes hatte Oppenheimer aus Bhagavad Gita, einem Buch mit Hindudichtung zitiert – »Jetzt bin ich der Tod geworden, der Zerschmetterer von Welten.« Sein Gesichtsausdruck, das Licht hinter seinen dunklen und brennenden Augen hatte ihn wie die böse Verkörperung des verrückten Wissenschaftlers schlechthin erscheinen lassen.
Zerschmetterer von Welten. Sie dachte an die Zerstörung von Nagasaki und Hiroshima, die Schatten verbrannter Körper, die sich in die Ziegelmauern eingebrannt hatten. Sie dachte an Jeff, wie er mit verschmolzenen Beinen in seinem Felsengrab lag, zwanzig Jahre bevor er zur Welt kommen würde.
Oppenheimer gab seinem Pferd die Sporen, und dann
Weitere Kostenlose Bücher