Trinity (German Edition)
die Esau unwillkürlich an die Atemzüge eines schlafenden Drachen erinnerten, verschwanden jetzt. Von Braun deutete zu der Rakete hinüber. »Die Ablassventile haben sich jetzt geschlossen. Der Sauerstoffdruck steigt jetzt.«
Wieder plärrte es aus den Lautsprechern: »X minus eine Minute. Regelmäßige Zählung wird fortgesetzt.«
Der General und von Braun wandten sich von Esau ab und sahen zu dem Teststand hinüber. »Sagen Sie es uns nachher.«
Esau nickte kurz und sah zu der Rakete hinüber.
»Fünfundvierzig Sekunden.«
Dornberger brachte es einfach nicht fertig, die Rolle des Fremdenführers aufzugeben. »Jetzt laufen die Steuerkreisel in der Rakete«, sagte er über die Schulter zu Esau. »Nur noch ein paar Sekunden.«
Ein kleines Geschoss zischte in die Luft und hinterließ eine grüne Rauchfahne am Himmel. Esau hatte keine Ahnung, was das bedeuten sollte. Um die Windrichtung zu testen?
»X minus fünfzehn Sekunden.«
Esau bemerkte, dass er den Atem anhielt. Soweit er feststellen konnte, taten General Dornberger und Wernher von Braun das auch. Selbst der Wind schien sich gelegt zu haben, und der von grauem Dunst überzogene Winterhimmel wirkte wie eine leblose Kuppel über ihnen.
»Zündung.«
Aus dem Stutzen unten an der Rakete quollen Dampfwolken. Ein Funkenregen zuckte gegen das Prallblech und von dort auf den Betonboden der Startplattform. Ein Geräusch wie von einem gigantischen Schneidbrenner war zu hören, als die Funken zu einer Flammensäule wurden, die unter der schwarzweißen Rakete hervorstach.
»Erstes Stadium!«, schrie von Braun.
Um die Rakete wallte Rauch auf, verdeckte die Sicht. Esau presste sich sein Fernglas an die Augen und versuchte, etwas zu erkennen. Holzsplitter, Sand und Kabelreste wirbelten durch die Luft. Diagnoseleitungen fielen von den Seitenwänden der Rakete ab. Esau spürte, wie die Spannung sich aufbaute.
»Wie lange dauert das noch?«, schrie er.
Dann wuchtete die Rakete sich in die Höhe. Von den glatten, weißen Seitenwänden fielen Kabel ab. Die Flamme verdoppelte ihre Kraft plötzlich, als die Hauptstufe zündete. Jetzt erhob sich die Rakete, wurde schneller, immer schneller, kletterte in den Himmel. Esau folgte ihr mit seinem Feldstecher. Auf dem Teststand blieb nur eine wirbelnde Staubwolke zurück.
Er warf einen Blick zu General Dornberger hinüber und sah, dass der wie ein kleines Kind grinste. Von Braun hielt den Feldstecher mit einer Hand ans Auge gepresst, während die andere Hand herunterhing und sich zur Faust ballte. Sein Gesicht wirkte ungemein konzentriert.
Der Flammenstrahl, gelb und orange, war jetzt länger als die Rakete selbst. Die schwarzweißen Muster änderten sich vor Esaus Augen nicht, und das bedeutete, dass die Rakete nicht rotierte.
»Plus fünf Sekunden«, verkündete der Lautsprecher. Esau schien das unglaublich. Es war doch ganz sicherlich mehr Zeit verstrichen! Dann erinnerte er sich, was der General von den Peenemündeminuten gesagt hatte.
»Sie beginnt zu kippen«, berichtete von Braun, ohne den Feldstecher von den Augen zu nehmen.
Die Rakete flog in einem eleganten Bogen über die Bucht von Peenemünde auf den kleinen grünen Fleck einer anderen Insel zu.
»Sechzehn … siebzehn … achtzehn …«, fuhr der Lautsprecher fort.
»Bei fünfundzwanzig fliegt die Rakete schneller als der Schall«, sagte von Braun. Dornberger nickte.
Ein dröhnender Knall erschreckte die Zuschauer. Die Lautsprecherstimme sagte: »Schallgeschwindigkeit!«
Die Rakete wurde kleiner und kleiner. Die Kraft und die Eleganz dieser Waffe faszinierten Esau. Er konnte Speers Begeisterung wohl verstehen. »Nähern uns Brennschluss. Fünf Sekunden«, sagte von Braun.
»Was?« Esau packte den General am Ärmel.
»Das Aggregat ist jetzt ausgebrannt. Die Hauptflamme wird ausgehen.« Von Braun stieß einen Schrei aus. Esau riss den Feldstecher hoch und suchte in seinem Sichtfeld nach der Rakete. Er sah weißen Nebel aus dem Rumpf des Projektils kommen.
»Ist es wieder passiert?«, wollte Dornberger wissen. »Nein, das ist nur das Sauerstoffventil! Das muss es sein.«
Plötzlich zerfetzte eine Explosion die Rakete, wegen der Distanz erst Augenblicke später hörbar. Der mächtige Wurfspeer hatte sich blitzartig in eine Wolke aus Wrackteilen, Flammen und Dampf verwandelt.
General Dornberger murmelte halblaut etwas vor sich hin. Der Lautsprecher machte eine letzte Ansage. »Dreiundvierzig Sekunden. Dreiundvierzig Sekunden Gesamtflugzeit«, und
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