Trinken hilft
auf gemütliche Abende vor dem prasselnden Holzfeuer vergällte.
Als der Herbstregen einsetzte, legten sich die Grashalme unseres grünen Daches flach. Es war kein schöner Anblick, er schrie nach einer Lösung. Mit dem Rasenmäher aufs Dach erschien meinem Mann dilettantisch, ich weiß nicht, wieso. Er spricht nicht viel, er ist mehr ein Mensch der Tat. Tatsache ist, dass er eines Tages wieder zu zimmern anfing. Ich ahnte nichts Gutes und hielt mich von seinen Aktivitäten fern. Vielleicht, um nicht mitschuldig zu werden an dem, was sich da über mir zusammenbraute. Erst als das Hämmern zum Stillstand kam, wagte ich einen Blick nach draußen. Eine Rampe war vor dem Dielenfenster in die Höhe gewachsen, eine hölzerne Rampe mit vielen Querleisten, die auf das Grasdach hinaufführte. Mein Mann war verschwunden. Kommentarlos. Zwei Stunden später tauchte er wieder auf. Mit einem Schaf an der Leine.
»Du bist doch so tierlieb und hast dir immer einen Hund gewünscht«, kam er meinen Fragen zuvor. »Ein Hund braucht allerdings Dosenfutter und muss Gassi geführt werden. Und überhaupt. Schafe kläffen nicht, belästigen keine Besucher und sind genügsam. Sie brauchen bloß Gras, wovon wir genügend haben.«
Das Schaf sah mich mit gemütvollem Blick an, eine große Ruhe ging von ihm aus. Vielleicht war es diese Ruhe, die mich zum Schweigen brachte. Vielleicht waren es die wissenden Augen der Kreatur, die eine hypnotische Wirkung auf mich ausübten. Ich kann es heute nicht mehr begründen, warum ich damals nicht sofort zur Abwehr überging. Mein Mann deutete mein Schweigen als stummes Einverständnis und führte das Schaf aufs Dach, wo das brave Tier sofort seine Bestimmung erkannte. Nach ein paar Tagen hatte ich mich an unseren wolligen Dachgenossen gewöhnt, so ein Schaf ist wirklich äußerst pflegeleicht und genügsam. Jedoch nicht so genügsam, dass es einen ganzen Winter lang von zwanzig Quadratmetern Wiese leben könnte. Das Grasdach war bald auf die Höhe eines englischen Herrenhausrasens abgefressen, die neu angepflanzte Wiese vor dem Haus gab noch nichts her, das Schaf blökte beunruhigt, und mein Mann kaufte Heu. Schaf und Heu fanden vorübergehend auf der Veranda Aufnahme, bis mein Mann an die Garage einen Schafstall gebaut hatte. Zu Weihnachten konnte der Stall eingeweiht werden, er sah darin etwas Symbolisches.
Nach Neujahr, als die Tage heller wurden, meinte er zu erkennen, dass dem Schaf etwas fehle. Jedenfalls mochte er das Tier nicht in widernatürlicher Einsamkeit darben lassen. Schafe seien Herdentiere, argumentierte er und führte das Schaf zu einem Bock. Nach Ostern ward uns ein Lamm geboren, ein allerliebstes Lämmchen. Was soll ich sagen? Man müsste gefühllos sein, wollte man sich dem Reiz eines unschuldigen Lämmchens und seiner fürsorglichen Mutter entziehen. Trotzdem reichte ich eine Kur ein, als mein Mann die Anschaffung einer Spinnmaschine und eines Schäferhundes erwog und mit professionellen Schäfern der Region Kontakt aufnahm.
Ob er inzwischen eine Hundehütte gebaut oder einen Schäfer bei sich einquartiert hat, weiß ich nicht. Denn auf meiner Kur, die mir übrigens sehr gut bekam, lernte ich einen netten Herrn mit Tierhaarallergie kennen. Es kam, wie es kommen musste, zu dem einen und anderen Schäferstündchen. Bei ihm fühlte ich mich sicher. Ich bin unmittelbar nach der Kur zu ihm gezogen in eine kleine Zweizimmerwohnung mit Zentralheizung im obersten Stock eines Hochhauses. Wenn ich nun abends bei einem Glas Wein auf der schmalen Dachterrasse sitze und den Blick über die Hügel und Wälder der Umgebung schweifen lasse, denke ich manchmal an den Duft frisch geschlagenen Holzes und bin wunschlos glücklich. Ich vermisse nichts. Nicht einmal meinen zweiten Mann, den Allergiker, mit dem es sich wirklich angenehm leben ließ. Bis er diese Angstvorstellung entwickelte, er könne in den eigenen vier Wänden erfrieren. Zugegeben, es wurde ein wenig ungemütlich in unserer Penthousewohnung, als letztes Jahr wegen dieses schrecklichen Eissturms für achtzehn Stunden der Strom ausfiel. Man konnte sich nicht einmal eine Wärmflasche fürs Bett heiß machen. Trotzdem, beschwor ich ihn, sei das noch lange kein Grund, sich einen gusseisernen Kaminofen in die Wohnung zu stellen. Er wollte nicht auf mich hören. Und nun ist er tot. Mitsamt seinem Gussofen ist er im Aufzug nach unten gedonnert, von der zwölften Etage schnurstracks in die Tiefgarage. Ein Unfall? Oder Sabotage? Die Polizei
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