Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)
schüttelt die Blechbüchse, hält sie gegen das Licht, liest den Zettel sechsmal, endlich begreift sie, was passiert ist, und ist furchtbar betrübt.
Die Frau des Professors war sehr betrübt, sie weinte etwa drei Stunden und machte sich auf den Weg, um die Blechbüchse mit der Asche zu begraben. Sie wickelte die Blechbüchse in eine Zeitung und brachte sie in den Garten des
1. Fünfjahresplans, den ehemaligen Taurischen Garten.
Die Frau des Professors wählte eine abgelegene kleine Allee und wollte gerade die Blechbüchse in der Erde vergraben, da kam ihr ein Parkwächter entgegen.
»He!«, rief der Wächter, »was machst du da?«
Die Frau des Professors erschrak und sagte:
»Ach, ich wollte bloß ein paar Frösche mit der Blechbüchse fangen.«
»Na dann«, sagte der Wächter, »dann ist ja gut, aber sieh dich vor: nicht auf den Rasen treten.«
Als der Wächter gegangen war, vergrub die Frau des Professors die Blechbüchse, trat die Erde darum herum fest und machte einen Spaziergang im Garten.
Aber im Garten wurde sie von einem Matrosen belästigt. Na los, komm, sagte er, gehen wir schlafen. Sie sagte: »Wozu denn am Tag schlafen?« Aber er fing immer wieder an mit seinem Schlafen, Schlafen. Und wirklich, die Frau des Professors hatte auf einmal das dringende Bedürfnis zu schlafen. Sie geht durch die Straßen, und sie möchte schlafen. Um sie herum wuseln irgendwelche Leute, mal blaue, mal grüne, und sie möchte immer nur schlafen.
Sie geht und schläft. Und sie träumt, ihr kommt Lew Tolstoi entgegen, der einen Nachttopf in der Hand hält. Sie fragte ihn: »Was ist das denn?« Und er zeigt mit dem Finger auf den Topf und sagt:
»Da«, sagt er, »hier habe ich etwas gemacht, und jetzt trage ich es herum, um es der ganzen Welt zu zeigen. Sollen doch alle gucken«, sagt er.
Die Frau Professor guckt auch hin und sieht, das ist nicht mehr Tolstoi, sondern ein Stall, und in dem Stall sitzt ein Huhn.
Die Frau Professor versuchte das Huhn zu fangen, aber das Huhn verkroch sich unterm Sofa, und von dort guckt es bereits als Kaninchen hervor.
Die Frau Professor kroch unters Sofa, um sich das Kaninchen zu schnappen, und wachte auf. Sie wachte auf, guckte sich um: Tatsächlich, sie lag unter dem Sofa.
Die Frau Professor kroch unter dem Sofa hervor und sah, das Zimmer ist ihr eigenes. Da steht ja auch der Tisch mit dem nicht ausgetrunkenen Kaffee. Auf dem Tisch liegt ein Zettel: »Das ist alles, was von Ihrem Gatten übrig ist.«
Die Frau Professor weinte noch einmal ein bisschen und setzte sich, um den kalten Kaffee auszutrinken. Plötzlich läutet es. Wer kann das sein? Irgendwelche Leute kommen herein und sagen: »Fahren wir.« »Wohin?«, fragt die Frau Professor. »Ins Irrenhaus«, antworten die Leute.
Die Frau Professor begann zu schreien und sich zu wehren, aber die Leute packten sie und brachten sie ins Irrenhaus.
Da sitzt nun die vollkommen normale Frau Professor auf einer Pritsche im Irrenhaus, hält eine Angel in der Hand und angelt auf dem Fußboden schwimmende unsichtbare Fische. Diese Frau Professor ist lediglich ein trauriges Beispiel dafür, wie viele Unglückliche es gibt, die im Leben nicht den Platz einnehmen, der ihnen zusteht.
Daniil Charms
21. August 1936
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Darüber, wie ein Mann zerbröselte
»Es heißt, gute Weiber haben alle einen dicken Arsch. Ach, ich liebe Weiber mit Holz vor der Hütte, mir gefällt, wie sie duften.« Nachdem er das gesagt hatte, wurde er immer größer, und als er an die Decke stieß, zerbröselte er in tausend kleine Kügelchen.
Da erschien Pantelej, der Hausmeister, fegte die Kügelchen auf eine Kehrschaufel, mit der er normalerweise Pferdeäpfel einsammelte, und trug die Kügelchen irgendwohin auf den Hinterhof.
Die Sonne schien wie zuvor, und die üppigen Damen dufteten so berückend wie zuvor.
23. August 1936
Ein Mechaniker beschloss, bei der Arbeit mal auf dem einen, mal auf dem anderen Bein zu stehen, um nicht so müde zu werden.
Doch das brachte nichts, er wurde nur noch müder als vorher, und seine Arbeit ging ihm nicht mehr so leicht von der Hand wie früher.
Der Mechaniker wurde ins Büro gerufen, und er bekam eine Rüge sowie eine Verwarnung.
Doch der Mechaniker beschloss, gegen seine Natur zu kämpfen, und fuhr fort, bei der Arbeit auf einem Bein zu stehen. Lange kämpfte der Mechaniker gegen seine Natur, und als er schließlich einen Schmerz im Kreuz spürte, der mit jedem Tag stärker wurde, war er gezwungen,
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