Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)

Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)

Titel: Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniil Charms
Vom Netzwerk:
aber ich lebe durch die Überzeugungskraft von meinem hinteren Unterbewusstsein.«
    »Schön blöd!«, sagte Konstantin Lebedjew zu ihm. »Den größten Dienst erweist dem Vaterland nur der
Liberale.
« Aus irgendeinem Grund nahm sich Alexej Alexejewitsch diese Worte sehr zu Herzen, und im Jahr 17 bezeichnet er sich schon als
Liberalen, der seine Lenden für das Vaterland geopfert hat.
    Die Revolution wurde von Alexej Alexejewitsch mit Begeisterung aufgenommen, auch ungeachtet dessen, dass ihm die Pension gestrichen wurde. Eine gewisse Zeit versorgte K. L. ihn mit Rohrzucker, Schokolade, Dosenspeck und Weizengrieß. Doch als Konstantin Lebedjew plötzlich von der Bildfläche verschwand, musste Alexej Alexejewitsch auf der Straße betteln gehen. Zuerst streckte Alexej Alexejewitsch die Hand aus und sagte: »Eine milde Gabe für einen, der seine Lenden für das Vaterland hingehalten hat, um Christi willen.« Doch das hatte keinen Erfolg. Da ersetzte Alexej Alexejewitsch das Wort »Vaterland« durch das Wort »Revolution«. Aber auch das hatte keinen Erfolg. Da verfasste Alexej Alexejewitsch ein revolutionäres Lied, und wenn er auf der Straße einen Menschen erblickte, der seiner Meinung nach aussah wie einer, der Almosen gibt, machte er einen Schritt vorwärts, warf stolz, würdevoll den Kopf in den Nacken und schmetterte los:
     
    Auf die Barrikaden
    Gehen wir geschlossen!
    Für die Freiheit
    Werden wir alle Krüppel und erschossen!
     
    Dann stampfte Alexej Alexejewitsch auf polnische Art verwegen mit dem Absatz auf, streckte den Hut hin und sagte: »Ein Almosen, um Christi willen.« Das half, und Alexej Alexejewitsch saß nur noch selten ohne Essen da.
    Alles lief gut, doch im Jahr 22 lernte Alexej Alexejewitsch einen gewissen Iwan Iwanowitsch Pusyrjow kennen, der auf dem Heumarkt Sonnenblumenöl verkaufte. Pusyrjow lud Alexej Alexejewitsch in eine Konditorei ein, spendierte ihm einen echten Kaffee, verdrückte selbst laut schmatzend mehrere Stücke Kuchen und setzte ihm irgendeine komplizierte Angelegenheit auseinander, wovon Alexej Alexejewitsch nur verstand, dass auch er dabei vorkam, wofür er von Pusyrjow Lebensmittel erster Güte bekommen werde. Alexej Alexejewitsch schlug ein, und als Ansporn steckte ihm Pusyrjow unter dem Tisch zwei Päckchen Tee und eine Schachtel Papirossy der Marke »Rajah« zu.
    Von da an kam Alexej Alexejewitsch jeden Morgen zu Pusyrjow auf den Markt, erhielt von ihm irgendwelche Papiere mit krakeligen Unterschriften und zahllosen Stempeln, nahm einen Schlitten, wenn es Winter war, oder eine Schubkarre, wenn es Sommer war, und klapperte auf Pusy rjows Anweisung verschiedene Behörden ab, wo er nach Vorzeigen der Papiere irgendwelche Kisten erhielt, die er auf seinen Schlitten oder seine Karre lud und am Abend zu Pusy rjows Wohnung brachte. Doch einmal, als Alexej Alexejewitsch seinen Schlitten zu Pusyrjows Wohnung zog, kamen zwei Männer auf ihn zu, von denen der eine einen Militärmantel anhatte, und fragten ihn: »Ist Ihr Name Alexejew?« Und schon schoben sie Alexej Alexejewitsch in ein Auto und brachten ihn ins Gefängnis.
    Bei den Verhören verstand Alexej Alexejewitsch überhaupt nichts und sagte nur immer wieder, dass er für das revolutionäre Vaterland gelitten habe. Dessen ungeachtet wurde er zu 10 Jahren Verbannung in den nördlichen Gefilden seines Vaterlandes verurteilt. Im Jahr 28 zurück in Leningrad, ging Alexej Alexejewitsch wieder seinem früheren Gewerbe nach, postierte sich an der Ecke Wolodarski Prospekt, warf würdevoll den Kopf zurück, stampfte mit dem Absatz auf und schmetterte los:
     
    Auf die Barrikaden
    Gehen wir geschlossen!
    Für die Freiheit
    Werden wir alle Krüppel und erschossen!
     
    Aber er hatte das keine zwei Mal gesungen, als er auch schon in einem geschlossenen Wagen in Richtung Admiralität befördert wurde. Und weg war er.
    Soweit die kurze Lebensgeschichte des tapferen Ritters und Patrioten Alexej Alexejewitsch Alexejew.
     
    <1934–1936>

[Menü]
Intimes aus dem schweren Leben eines Musikus
    Sie nannten mich ein Scheusal.
    Bin ich das etwa?
    Nein, bestimmt nicht. Beweise werde ich keine anführen.
     
    Ich habe gehört, wie meine Frau beim Telefonieren mit einem gewissen Michi in den Hörer sagte, ich sei dumm.
    Währenddessen kauerte ich unterm Bett und war nicht zu sehen.
    Oh! Was habe ich in dem Moment empfunden!
    Ich wollte mit einem Satz unterm Bett hervorstürzen und schreien: »Nein, ich bin nicht dumm!« Ich kann mir vorstellen, was

Weitere Kostenlose Bücher