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Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)

Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)

Titel: Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniil Charms
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was er anhatte. Ich weiß nur noch, dass etwas an ihm braun war, vielleicht die Hose, die Jacke oder auch nur der Schlips. Sein Name war Iwan Jakowlewitsch oder so ähnlich. Iwan Jakowlewitsch verließ das Lebensmittelgeschäft und ging nach Hause. Zu Hause angekommen, nahm Iwan Jakowlewitsch die Mütze ab, setzte sich aufs Sofa, drehte sich aus Machorka eine Papirossa, steckte sie in eine Zigarettenspitze, zündete sie mit einem Streichholz an, rauchte sie, drehte eine zweite Papirossa, steckte sie an, erhob sich, setzte die Mütze auf und ging auf die Straße.
    Er hatte die Nase voll von seinem kleinen, hässlichen Leben, und er machte sich auf den Weg in Richtung Eremitage. An der Fontanka angekommen, blieb Iwan Jakowlewitsch stehen und war drauf und dran umzukehren, aber plötzlich schämte er sich vor den Passanten: Womöglich würden sie ihn angaffen und ihm hinterhergucken, weil da einer geht und geht und sich dann plötzlich umdreht und in die entgegengesetzte Richtung weitergeht. Passanten gucken solche Leute immer an.
    Iwan Jakowlewitsch stand an der Ecke gegenüber einer Apotheke. Um den Passanten sein Stehenbleiben zu erklären, tat er so, als suche er eine Hausnummer. Er sah fortwährend ein Haus an, machte ein paar Schritte die Fontanka entlang, dann kehrte er um und betrat, ohne zu wissen, warum, die Apotheke.
    In der Apotheke waren eine Menge Leute. Iwan Jakowlewitsch versuchte, sich zur Ladentheke durchzuboxen, doch man drängte ihn ab. Da betrachtete er einen Glasschrank, in welchem verschieden arrangiert verschiedene Flakons mit verschiedenen Parfüms und Kölnisch Wasser standen. Es lohnt sich nicht zu beschreiben, was Iwan Jakowlewitsch noch tat, denn all sein Tun war zu klein und unbedeutend. Wichtig ist nur, dass er es nicht bis zur Eremitage schaffte und gegen sechs Uhr wieder zu Hause war.
    Zu Hause rauchte er hintereinander weg vier Machorka-Papirossy, dann legte er sich aufs Sofa, drehte sich zur Wand und versuchte einzuschlafen. Doch vermutlich hatte Iwan Jakowlewitsch zu viel geraucht, denn sein Herz pochte sehr laut, und der Schlaf suchte das Weite.
    Iwan Jakowlewitsch setzte sich auf und stellte die Füße auf den Boden.
    So blieb Iwan Jakowlewitsch bis halb neun sitzen.
    »Wenn ich mich doch in eine schöne junge Dame verlieben könnte«, sagte Iwan Jakowlewitsch, hielt sich aber sofort mit der Hand den Mund zu und riss die Augen auf.
    »In eine junge Brünette«, sagte Iwan Jakowlewitsch und nahm die Hand vom Mund. »In die, die ich heute auf der Straße gesehen habe.«
    Iwan Jakowlewitsch drehte sich eine Papirossa und zündete sie an.
    Im Flur läutete es drei Mal.
    »Das ist für mich«, sagte Iwan Jakowlewitsch, blieb auf dem Sofa sitzen und rauchte weiter.
     
    13. Januar 1937
     
    »Gibt es etwas auf der Erde, das von Bedeutung wäre und sogar den Lauf der Dinge verändern könnte, und zwar nicht nur auf der Erde, sondern auch in anderen Welten?«, fragte ich meinen Meister.
    »Gibt es«, antwortete mir der Meister.
    »Und was ist das?«, fragte ich.
    »Das ist …«, setzte der Meister an und verstummte auf einmal.
    Ich stand da und wartete gespannt auf seine Antwort. Doch er schwieg.
    Und ich stand da und schwieg.
    Und er schwieg.
    Und ich stand da und schwieg.
    Und er schwieg.
    Wir stehen beide da und schweigen.
    Hol-le-ri!
    Wir stehen beide da und schweigen!
    Hol-le-ra!
    Ja, ja, wir stehen beide da und schweigen!
     
    Daniil Charms
     
    16.–17. Juli 1937

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Wie ich einmal von den Boten besucht wurde
    In der Uhr klopfte es, und die Boten kamen zu mir. Mir war nicht gleich klar, dass mich die Boten besuchten. Zuerst dachte ich, meine Uhr sei kaputt. Aber dann sah ich, dass die Uhr ja ging und aller Wahrscheinlichkeit nach die Uhrzeit korrekt anzeigte. Dann kam ich darauf, dass es im Zimmer zog. Und plötzlich wunderte ich mich: Was mochte das für eine Erscheinung sein, die zugleich eine falsch gehende Uhr und Durchzug im Zimmer verursachen konnte? Während ich darüber nachdachte, saß ich auf einem Stuhl neben dem Sofa und sah auf die Uhr. Der Minutenzeiger stand auf der Neun und der Stundenzeiger knapp vor der Vier, folglich war es Viertel vor vier. Unter der Uhr hing ein Abreißkalender, und die Kalenderblätter flatterten, als wehte im Zimmer ein starker Wind. Mein Herz hämmerte, und ich fürchtete, das Bewusstsein zu verlieren.
    »Ich muss etwas Wasser trinken«, sagte ich. Auf einem Tischchen neben mir stand eine Karaffe mit Wasser. Ich streckte die Hand aus

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