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Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)

Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)

Titel: Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniil Charms
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und langte nach dieser Karaffe.
    »Wasser kann guttun«, sagte ich und betrachtete das Wasser. Da begriff ich, dass die Boten bei mir waren, ich sie aber nicht vom Wasser unterscheiden konnte. Ich hatte Angst, dieses Wasser zu trinken, denn ich hätte ja aus Versehen einen Boten trinken können. Was hat das zu bedeuten? Das hat gar nichts zu bedeuten. Trinken kann man nur eine Flüssigkeit. Und sind die Boten etwa eine Flüssigkeit? Also konnte ich das Wasser trinken, und zwar ohne Bedenken. Doch ich konnte kein Wasser finden. Ich ging im Zimmer umher und suchte welches. Ich versuchte, mir ein Riemchen in den Mund zu stecken, aber das war kein Wasser. Ich steckte mir den Kalender in den Mund – auch kein Wasser. Ich pfiff auf das Wasser und suchte nach den Boten. Aber wo sie finden? Wie sahen sie aus? Ich erinnerte mich, dass ich sie nicht vom Wasser unterscheiden konnte, also sahen sie aus wie Wasser. Aber wie sah Wasser aus? Ich stand da und überlegte.
    Ich weiß nicht, wie lange ich da stand und überlegte, doch auf einmal zuckte ich zusammen.
    »Da ist Wasser!«, sagte ich mir. Aber das war kein Wasser, mir hatte es bloß im Ohr gejuckt.
    Ich stocherte unter dem Schrank und unter dem Bett herum, da ich meinte, wenigstens dort etwas Wasser oder einen Boten zu finden. Aber unter dem Schrank fand ich nur Staub und einen kleinen Ball, den der Hund angeknabbert hatte, und unter dem Bett irgendwelche Glasscherben.
    Unter dem Stuhl fand ich eine angebissene Frikadelle. Ich aß sie auf, und mir wurde leichter ums Herz. Der Wind wehte kaum noch, die Uhr tickte ruhig und zeigte die korrekte Uhrzeit an: Viertel vor vier.
    »Na, dann sind also die Boten schon wieder weg«, sagte ich mir und zog mich um, denn ich wollte jemanden besuchen gehen.
     
    Daniil Charms
     
    22. August 1937
     
     
    »Makarow! So warte doch!«, schrie Sampsonow, aber Makarow beachtete Sampsonows Geschrei gar nicht und rannte immer weiter. Makarow ging bereits die Puste aus, in seiner Brust brodelte es schon, trotzdem rannte er, wedelte mit den Fäusten und schnappte mit aufgerissenem Mund nach Luft. Trotz aller Anstrengung konnte Makarow nicht schnell rennen, stolperte alle naselang und hielt sich mit den Händen an allen Gegenständen fest, die ihm in die Quere kamen. Als Makarow schließlich an einem Weidenbaum vorbeirannte, verhakte sich seine Jackentasche an einem Ast, und er blieb stehen.
    Jetzt rannte Sampsonow los. Sampsonow rannte leicht und locker, die Fäuste in die Seiten gestemmt. Auf Sampsonows Gesicht lag ein glückliches Lächeln, man konnte sehen, das Laufen bereitete ihm Vergnügen.
    »He, Makarow! Gleich hab ich dich eingeholt!«, schrie Sampsonow, doch bei den Worten stolperte er über einen Erdhügel und stürzte.
    Jetzt rannte Makarow wieder los. Makarow rannte in einen Wald. Erst tauchte er zwischen Wacholderbüschen auf, dann guckte sein Kopf hinter jungen Kiefern hervor, und schließlich verschwand Makarow ganz aus dem Blickfeld.
    Sampsonow zog eine kleine schwarze gebogene Pfeife mit Metalldeckelchen und einen Tabaksbeutel aus Gummi aus der Jackentasche, stopfte Tabak in die Pfeife, rauchte sie an, setzte sich auf einen Baumstumpf und stieß eine blaue Rauchwolke aus.
     
    <1937>

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Passacaglia Nr. 1
    Stilles Wasser schwappte zu meinen Füßen.
    Ich schaute ins dunkle Wasser und sah den Himmel.
    Hier, an diesem Ort, wird mir Ligudim die Formel für die Struktur von nicht existierenden Gegenständen sagen. Ich werde bis fünf Uhr warten, und wenn Ligudim bis dahin nicht zwischen diesen Bäumen auftaucht, gehe ich. Das Warten wird langsam unschön. Jetzt stehe ich schon zweieinhalb Stunden hier, und zu meinen Füßen schwappt das stille Wasser.
    Ich hielt einen Stock ins Wasser. Und plötzlich packte jemand unter Wasser meinen Stock und zog daran. Ich ließ den Stock los, und der Holzstock verschwand so schnell unter Wasser, dass ein Pfeifen zu hören war. Ratlos und erschrocken stand ich am Wasser.
     
    Ligudim kam Punkt fünf. Es war Punkt fünf, denn am andern Ufer brauste der Zug vorbei: Jeden Tag Punkt fünf saust er an jenem Haus vorbei.
    Ligudim fragte mich, warum ich so blass sei. Ich sagte es ihm. Es vergingen vier Minuten, in denen Ligudim ins dunkle Wasser schaute. Dann sagte er: »Das hat keine Formel. Mit solchen Sachen kann man Kinder erschrecken, aber für uns ist das uninteressant. Wir sammeln keine fantastischen Sujets. Nur sinnlose Taten liegen uns am Herzen. Volkskunst und
    E.T.A. Hoffmann sind uns

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