Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)
dann passiert wäre!
Wieder kauerte ich unterm Bett und war nicht zu sehen. Dafür konnte ich aber etwas sehen, nämlich was dieser Michi mit meiner Frau anstellte.
Heute hat meine Frau wieder diesen Michi empfangen. Ich beginne zu glauben, dass ich für meine Frau nur noch die zweite Geige spiele. Michi hat sogar in meinen Schreibtischschubladen herumgeschnüffelt. Ich selbst kauerte unterm Bett und war nicht zu sehen.
Wieder kauerte ich unterm Bett und war nicht zu sehen. Meine Frau und Michi sprachen auf höchst unangenehme Art und Weise über mich. Ich hielt es nicht mehr aus und schrie sie an, das sei alles erstunken und erlogen.
Es ist nun schon fünf Tage her, dass ich verprügelt worden bin, aber mir tun immer noch die Knochen weh.
D. Ch.
<1935–1936>
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Tod eines alten Männleins
Einem alten Männlein sprang ein kleines Kügelchen aus der Nase und fiel zu Boden. Das alte Männlein bückte sich, um dieses Kügelchen aufzuheben, da sprang ihm ein kleines Stäbchen aus dem Auge und fiel ebenfalls zu Boden. Das alte Männlein erschrak, und da es nicht wusste, was es tun sollte, bewegte es die Lippen. In dem Moment sprang dem alten Männlein ein kleines Quadrätchen aus dem Mund. Das alte Männlein griff sich an den Mund, aber da sprang ihm ein kleines Mäuschen aus dem Ärmel. Dem alten Männlein wurde ganz schlecht vor lauter Angst, und um nicht hinzufallen, ging es in die Hocke. Doch da knirschte etwas in dem alten Männlein, und das Männlein sank wie ein weicher Plüschpelz zu Boden. Da sprang dem alten Männlein ein langes Gertlein aus dem Hosenschlitz, und ganz auf dem Ende dieses Gertleins saß ein zartes Vögelchen. Das alte Männlein wollte schreien, aber die Kiefer verhakten sich ineinander, und statt zu schreien, gab es nur einen schwachen Hickser von sich und schloss ein Auge. Das andere Auge des alten Männleins blieb offen, hörte auf sich zu bewegen und zu glänzen und wurde unbeweglich und trübe wie bei einem Toten. So ereilte der tückische Tod ein altes Männlein, das seine Stunde nicht kannte.
<1935–1936>
Bei einem kleinen Mädchen begann ein Milchzahn zu faulen. Man beschloss, dieses Mädchen zum Zahnarzt zu bringen, der ihr den Milchzahn ziehen sollte.
Eines Tages stand dieses kleine Mädchen in einer Redaktion, ganz zusammengekrümmt stand es neben einem Schrank. Da fragte eine Redakteurin dieses Mädchen, warum es so krumm dastehe, und das Mädchen antwortete, es stehe so da, weil es sich davor fürchte, seinen Milchzahn ziehen zu lassen, denn das werde wohl sehr weh tun. Die Redakteurin fragte: »Hast du große Angst, wenn dir jemand mit einer Nadel in die Hand sticht?« Das Mädchen sagte: »Nein.« Die Redakteurin stach dem Mädchen mit einer Nadel in die Hand und sagte, das Ziehen eines Milchzahns tue nicht mehr weh als dieser Stich. Das Mädchen glaubte ihr, ging zum Zahnarzt und ließ sich den kranken Milchzahn ziehen.
Den Erfindungsreichtum dieser Redakteurin kann man gar nicht genug hervorheben.
<1937>
Ein Mann, der sich nicht weiter von getrockneten Erbsen ernähren wollte, machte sich auf den Weg zu einem großen Lebensmittelgeschäft, um nach irgendetwas anderem Ausschau zu halten, nach einem Fisch, einer Wurst oder sogar einem Milchprodukt.
In der Wurstabteilung gab es allerlei Interessantes, am interessantesten war natürlich Schinken. Aber Schinken kostete 18 Rubel, und das war zu teuer. Erschwinglich war eine rote Wurst mit dunkelgrauen Punkten. Doch diese Wurst roch aus irgendeinem Grund nach Käse, und selbst der Handlungsgehilfe sagte, er könne sie nicht empfehlen.
In der Fischabteilung gab es gar nichts, denn die Fischabteilung war vorübergehend dahin umgezogen, wo früher die Spirituosenabteilung war, und die Spirituosenabteilung war in die Konditoreiwarenabteilung umgezogen, die Konditoreiabteilung in die Molkereiwarenabteilung, und in der Molkereiwarenabteilung stand ein Handlungsgehilfe mit einer dermaßen riesigen Nase, dass die Kunden unter einem Mauerbogen zusammengedrängt stehen blieben und sich nicht trauten, an die Ladentheke zu treten.
So quetschte sich unser Mann, um den es hier geht, durchs Geschäft und trat auf die Straße hinaus.
Der Mann, über den ich hier diese Geschichte erzählen will, zeichnete sich durch keinerlei besondere Qualitäten aus, die einer extra Beschreibung wert wären. Er war hager, arm und faul, aber alles in Maßen. Ich kann mich nicht einmal daran erinnern,
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