Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)
der Niederkunft, na und? Ich hab das Kind doch rausgezerrt. Und dass es nicht lebensfähig war, das ist nun wirklich nicht meine Schuld. Ich hab ihm den Kopf nicht abgerissen, der Grund war sein dünner Hals. Es war nicht für das irdische Leben geschaffen. Es stimmt, dass ich mit dem Stiefel ihr Hündchen zu Brei zertreten habe. Aber das ist doch wirklich Zynismus, mich der Tötung eines Hundes zu beschuldigen, wenn gleich daneben, um es mal so zu sagen, drei Menschenleben vernichtet wurden. Das Kind zähle ich nicht mit. Na schön: In all dem (das kann ich zugeben) mag man eine gewisse Grausamkeit meinerseits sehen. Aber für ein Verbrechen zu halten, dass ich mich hingesetzt und mich über meinem Opfer entleert habe, das ist, entschuldigen Sie, einfach absurd. Sich zu entleeren,das ist ein natürliches und folglich nie und nimmer verbrecherisches Bedürfnis. Demzufolge verstehe ich zwar die Bedenken meines Verteidigers, hoffe aber dennoch auf Freispruch in allen Anklagepunkten.
Daniil Charms
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Die Alte
Roman
… und zwischen ihnen kommt es
zu folgender Unterhaltung.
Hamsun
Auf dem Hof steht eine alte Frau mit einer Wanduhr in den Händen. Ich gehe an der Alten vorüber, bleibe stehen und frage sie: »Wieviel Uhr ist es?«
»Schauen Sie«, sagt die Alte zu mir.
Ich schaue hin und sehe, dass die Uhr keine Zeiger hat.
»Da sind keine Zeiger«, sage ich.
Die Alte schaut das Zifferblatt an und sagt zu mir:
»Jetzt ist es Viertel vor drei.«
»Aha. Vielen Dank«, sage ich und gehe.
Die Alte ruft mir noch etwas hinterher, aber ich gehe weiter und drehe mich nicht um. Ich trete auf die Straße hinaus und gehe auf der Sonnenseite. Die Frühlingssonne ist sehr angenehm. Ich gehe zu Fuß, blinzle und rauche Pfeife. An der Ecke Sadowaja läuft mir Sakerdon Michailowitsch über den Weg. Wir grüßen uns, bleiben stehen und unterhalten uns lange. Ich habe keine Lust mehr, auf der Straße herumzustehen, und ich lade Sakerdon Michailowitsch in eine Kellerkneipe ein. Wir trinken Wodka, essen harte Eier und Sprotten dazu, dann verabschieden wir uns, und ich gehe allein weiter.
Da fällt mir plötzlich ein, dass ich vergessen habe, zu Hause das elektrische Heizöfchen auszuschalten. Das ist wirklich ärgerlich. Ich mache kehrt und gehe nach Hause. Der Tag hat so schön begonnen, und jetzt schon das erste Malheur. Ich hätte gar nicht erst rausgehen sollen.
Ich komme nach Hause, ziehe die Jacke aus, nehme die Uhr aus der Westentasche und hänge sie an einen Nagel; dann schließe ich die Tür ab und lege mich auf die Couch. Ich werde liegen bleiben und versuchen einzuschlafen.
Von der Straße dringt das grässliche Geschrei von kleinen Bengeln herauf. Ich liege da, stelle mir vor, wie ich sie hinrichte. Am besten würde mir gefallen, sie in einen Starrkrampf zu versetzen, so dass sie sich plötzlich nicht mehr bewegen können. Ihre Eltern schaffen sie nach Hause. Sie liegen in ihren Betten und können nicht mal essen, denn sie kriegen den Mund nicht mehr auf. Sie werden künstlich ernährt. Nach einer Woche löst sich der Starrkrampf, aber die Kinder sind so schwach, dass sie noch einen ganzen Monat das Bett hüten müssen. Dann werden sie allmählich wieder gesund, aber da versetze ich sie erneut in einen Starrkrampf, und alle krepieren.
Ich liege mit offenen Augen auf der Couch und kann nicht einschlafen. Mir fällt die Alte mit der Uhr ein, die ich heute im Hof gesehen habe, und ich finde es schön, dass die Uhr keine Zeiger hatte. Übrigens habe ich neulich in einem An- und Verkauf eine scheußliche Küchenuhr gesehen, deren Zeiger Messer und Gabel nachempfunden waren.
O Gott! Ich habe das elektrische Heizöfchen ja noch nicht ausgeschaltet! Ich springe auf und schalte es aus, dann lege ich mich wieder auf die Couch und versuche einzuschlafen. Ich mache die Augen zu. Ich habe keine Lust zu schlafen. Die Frühlingssonne scheint durchs Fenster, ihre Strahlen fallen direkt auf mich. Mir wird heiß. Ich stehe auf und setze mich in den Sessel am Fenster.
Jetzt möchte ich am liebsten schlafen, aber ich lasse es sein. Ich werde jetzt Papier und Feder zur Hand nehmen und schreiben. Ich fühle eine ungeheure Kraft in mir. Schon gestern habe ich alles durchdacht. Es wird eine Geschichte über einen Wundertäter, der in unserer Zeit lebt und keine Wunder vollbringt. Er weiß, dass er ein Wundertäter ist und jedes x-beliebige Wunder vollbringen könnte, aber er tut es nicht. Man schmeißt ihn aus der
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