Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)
die in einem knallgrünen Plastikmundstück steckt.
Ich stelle den Koffer zwischen zwei Bänken ab und setze mich. Ich habe so stechendes Bauchweh, dass ich die Fäuste balle, um nicht vor Schmerz zu stöhnen. Auf dem Bahnsteig führen zwei Milizionäre einen Bürger auf die Wache ab. Er geht, die Hände auf dem Rücken und den Kopf gesenkt.
Der Zug setzt sich in Bewegung. Ich sehe auf die Uhr: zehn Minuten nach sieben.
Oh, mit welchem Vergnügen ich die Alte im Sumpf versenken werde! Nur schade, dass ich keinen Stock mitgenommen habe, denn ich werde wahrscheinlich nachhelfen müssen. Der Dorfgeck im rosa Russenkittel glotzt mich unverschämt an. Ich drehe ihm den Rücken zu und sehe aus dem Fenster. In meinem Bauch toben immer wieder fürchterliche Krämpfe; dann beiße ich die Zähne zusammen, balle die Fäuste und spanne die Beine an.
Wir passieren Lanskaja und Nowaja Derewnja. Da blitzt schon die goldene Spitze der buddhistischen Pagode, und dort taucht das Meer auf.
Doch da springe ich hoch und laufe, alles um mich herum vergessend, mit kleinen Schrittchen aufs Klo. Mein Bewusstsein wird von einer irrsinnigen Woge hin- und hergeschleudert … Der Zug verlangsamt seine Fahrt. Wir nähern uns der Station Lachta. Ich sitze da, habe Angst mich zu rühren, damit mich bloß niemand während des Aufenthalts vom Klo scheucht. Wenn er doch schnell wieder losfahren würde! Wenn er doch schnell wieder losfahren würde!
Der Zug fährt an, und ich schließe verzückt die Augen. Oh, diese Momente sind süß wie die Momente der Liebe! Allemeine Kräfte sind angespannt, aber ich weiß, darauf folgt ein furchtbares Erschlaffen. Der Zug hält wieder. Das ist Olgino. Also noch einmal diese Folter! Aber diesmal ist es falscher Alarm. Mir steht der kalte Schweiß auf der Stirn, und ein kühler Schauer flattert mir ums Herz. Ich raffe mich auf und stehe eine Weile da, den Kopf an die Wand gelehnt. Der Zug fährt, und das Schaukeln des Wagens tut mir sehr gut.
Ich nehme meine ganze Kraft zusammen und verlasse schwankend die Toilette.
Im Wagen gähnende Leere. Der Arbeiter und der Dorfgeck im rosa Russenkittel sind offenbar in Lachta oder Olgino ausgestiegen. Ich gehe langsam zu meinem Fensterplatz. Plötzlich bleibe ich stehen und stiere stumpfsinnig vor mich hin. Der Koffer steht nicht mehr da, wo er gestanden hat. Ich habe mich wohl im Platz geirrt. Ich stürze zum nächsten Fensterplatz. Kein Koffer. Ich renne zurück, wieder vor, in beide Richtungen durch den ganzen Wagen, gucke unter alle Bänke – aber der Koffer ist nicht da.
Ja, hier besteht kein Zweifel. Natürlich, während ich auf der Toilette war, hat jemand den Koffer gestohlen. Das hätte ich wissen müssen!
Ich sitze auf der Bank mit weit aufgerissenen Augen, und aus irgendeinem Grunde fällt mir ein, wie bei Sakerdon Michailowitsch mit einem Knall die Emaille von dem überhitzten Topf abgeplatzt ist.
›Wie konnte das alles kommen?‹, frage ich mich. ›Wer glaubt mir jetzt noch, dass ich die Alte nicht umgebracht habe? Noch heute werden sie mich verhaften, gleich hier oder in der Stadt auf dem Bahnhof, wie diesen Bürger, der mit gesenktem Kopf daherging.‹
Ich gehe raus auf die Plattform am Ende des Wagens. Der Zug nähert sich Lissi Nos. Weiße Pfosten, die die Bahnstrecke begrenzen, flimmern vorüber. Der Zug hält. Die Stufen des Trittbretts an meinem Wagen reichen nicht bis zum Boden. Ich springe ab und gehe zu dem kleinen Stationsgebäude. Bis zum nächsten Zug, der in die Stadt fährt, ist es noch eine halbe Stunde.
Ich gehe in das Wäldchen hinein. Da sind schon Wacholderbüsche. Dahinter wird mich niemand sehen. Ich gehe hin. Auf der Erde kriecht eine große grüne Raupe. Ich sinke auf die Knie und berühre sie mit dem Finger. Sie windet sich kraftvoll und sehnig einige Male hin und her.
Ich blicke mich um. Niemand sieht mich. Ein leichter Schauer läuft mir den Rücken hinunter. Ich neige tief den Kopf und sage leise:
»Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, jetzt und immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.«
Damit beende ich vorläufig mein Manuskript, da ich meine, dass es ohnehin schon ziemlich lang geworden ist.
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Einmal habe ich gesehen, wie eine Fliege und eine Wanze miteinander rauften. Das war so schrecklich, dass ich raus auf die Straße rannte, weiß der Teufel,
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