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Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)

Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)

Titel: Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniil Charms
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bemühte sich, immer geradeaus zu gehen, und sobald er beim Haus angekommen war, machte er auf dem Fuße wieder kehrt. Chwilischtschewski stand noch immer bei dem Baum und blickte mit seinen kurzsichtigen Augen durch den Zwicker auf die Rinde. Chwilischtschewskis Hals war dünn und faltig.
     
    Da begannen alle über Zahlen zu reden.
    Chwilischtschewski behauptete, er kenne eine Zahl, die, wenn man sie auf Chinesisch von oben nach unten schreibe, aussehe wie ein Bäcker.
    »Blödsinn«, sagte Fakirow, »wieso Bäcker?«
    »Versuchen Sie’s mal, Sie können sich selbst davon überzeugen«, sagte Chwilischtschewski und schluckte Speichel herunter, wodurch ihm der Hemdkragen hochsprang und der Schlips verrutschte. »Und, wie heißt die Zahl?«, fragte Fakirow und zog einen Bleistift hervor.
    »Mit Verlaub, diese Zahl behalte ich für mich«, sagte Chwilischtschewski.
    Wer weiß, wie das geendet hätte, aber da kam Ujomow mit lauter Neuigkeiten herein.
    Fakirow saß in seiner dunkelblauen Samtweste da und rauchte Pfeife.
     
    Zahlen sind ein so wichtiger Teil der Natur! Ob Wachsen oder Wirken, alles ist Zahl.
    Und das Wort ist Kraft.
    Zahl und Wort sind uns eine Mutter.
     
    5. Oktober
    <1933–1934>
     
    Wenn ich einen Menschen sehe, möchte ich ihm in die Fresse schlagen. Es tut so gut, einem Menschen in die Fresse zu schlagen!
    Ich sitze in meinem Zimmer und tue gar nichts.
    Da kommt jemand zu mir auf Besuch; er klopft an meine Tür. Ich sage: »Hereinspaziert!« Er spaziert herein und sagt: »Guten Tag! Wie schön, dass ich Sie zu Hause antreffe!« Aber ich, zack, eins in die Fresse und dann noch mit dem Stiefel in den Schritt. Mein Gast fällt vor rasenden Schmerzen hintenüber. Und ich versetze ihm eine mit dem Absatz aufs Auge! Was hat er auch hier verloren, wo ihn doch keiner gerufen hat!
    Oder auch so: Ich biete dem Gast ein Tässchen Tee an. Der Gast willigt ein, setzt sich an den Tisch, trinkt Tee und erzählt etwas. Ich tue so, als würde ich ihm mit großem Interesse folgen, nicke, sage ach, mache große Augen und lache. Der Gast fühlt sich durch meine Aufmerksamkeit geschmeichelt und kommt immer mehr in Fahrt.
    Ruhig fülle ich eine Tasse mit kochendem Wasser und schütte es dem Gast mitten in die Fresse. Der Gast springt auf und greift sich ins Gesicht. Ich sage zu ihm: »Es gibt keine Güte mehr in meinem Herzen. Raus mit Ihnen!« Und ich stoße den Gast hinaus.
     
    <1939–1940>

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Amerikanische Geschichte
    Bei einem amerikanischen Gericht ging eine Klage ein von einem Schlachthofwachmann gegen irgendeinen Burschen, weil der ihm angeblich den Arm gebrochen hatte. Der Richter ließ diesen Burschen vorladen und fragte ihn: »Hast du dem Wachmann den Arm gebrochen?« Der Bursche sagte: »Nein, ich habe ihm nicht den Arm gebrochen.« Aber der Wachmann sagte: »Wie, du hast mir nicht den Arm gebrochen? Wegen dir ist das doch passiert!« Da fragte der Richter: »Was genau ist vorgefallen?« Es stellte sich heraus, dass Folgendes vorgefallen war:
    Der junge kräftige Bursche hatte sich in den Schlachthof geschlichen, von einem Kuheuter eine Zitze abgeschnitten, sie sich in den Hosenschlitz gesteckt und war so rumgelaufen. Der Wachmann hatte den Burschen gesehen, ihm waren fast die Augen aus dem Kopf gefallen, und er hatte gesagt: »Guck dich doch mal an, wie du rumläufst!«
    Der Bursche hatte ein Messer gezückt und gesagt: »Pah, ist doch jetzt sowieso wurst!« Dann hatte er mit dem Messer die Zitze abgeschnitten und sie weggeworfen.
    Der Wachmann war umgefallen und hatte sich den Arm gebrochen.
     
    <1934>
     
    Andrej Iwanowitsch spuckte in eine Tasse mit Wasser. Das Wasser wurde augenblicklich schwarz. Andrej Iwanowitsch verengte die Augen zu Schlitzen und starrte in die Tasse. Das Wasser war sehr schwarz. Andrej Iwanowitschs Herz hämmerte.
    In dem Moment wurde der Hund von Andrej Iwanowitsch wach. Andrej Iwanowitsch trat zum Fenster und dachte nach. Plötzlich flog etwas Großes und Dunkles an Andrej Iwanowitschs Gesicht vorbei und zum Fenster hinaus. Es war der Hund von Andrej Iwanowitsch, der da zum Fenster hinausflog und wie eine Krähe aufs Dach des Hauses gegenüber schwirrte. Andrej Iwanowitsch ging in die Hocke und heulte auf.
    Genosse Popugajew kam ins Zimmer gerannt. »Was haben Sie? Sind Sie krank?«, fragte Gen. Popugajew. Andrej Iwanowitsch sagte nichts und rieb sich mit den Händen das Gesicht.
    Gen. Popugajew blickte in die Tasse, die auf dem Tisch stand. »Was haben wir uns denn da

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