Trips & Träume
fuhr er mit heulendem Motor wieder an.
»Langsam, Mann, sonst nehmen wir deinen Song im Jenseits auf.«
»Entschuldige, ich weiß auch nicht, was los ist, mir geht unglaublich viel im Kopf herum, das macht mich ganz fickrig.«
Merkwürdig, vor wenigen Wochen noch hätte ich ihn auf den Mond schießen können, diesen neunmalklugen Adorno-Coltrane-Besserwisser. Doch hier, in diesem mickrigen Käfer, mit dem wir nach Montreux gedüst waren, überkam mich ein Anflug von freundschaftlichen Gefühlen. Er ist in Ordnung, dachte ich. Auch wenn er alte Damen von der Straße scheucht.
Mit einer harten Bremsung brachte er den Wagen vor Billys Haus zum Stehen. Ich donnerte mit den Knien gegen das Handschuhfach. Meine für ihn aufkeimende Sympathie ging sofort wieder gegen null.
»Du bist auch schon mal besser Auto gefahren!«, rief ich und rieb die schmerzende Stelle.
»Ich treffe mich heute noch mit einem Bekannten, der ist Arzt.«
»Danke, nicht nötig, einen Arzt brauche ich nicht.«
»Doch nicht wegen dir!«
»Wegen was sonst? Oder hast du was an den Fingern, etwa diese Musikerkrankheit, diese fokale Dystonie, von der du mir erzählt hast? Obwohl, bei deinem Fahrstil wäre eine Untersuchung auf deinen Geisteszustand eher angebracht.«
»Schlaues Kerlchen.«
»Wie, was nun, Geisteszustand oder Finger?«
»Letzteres.«
»Ach, komm, das glaub ich nicht, zeig mir deine Hand, das habe ich aber vorhin nicht bemerkt, als du am Klavier gesessen hast. Du verarschst mich.«
»Mit meinen Fingern ist alles in Ordnung. Der Arzt, den ich treffe, ist ein sympathischer älterer Herr. Er behandelt unsere Familie, seit ich denken kann. Schon als Kind bin ich zu ihm gegangen. Ich will, dass er mir ein Attest ausstellt, damit ich endlich Ruhe vor der Bundeswehr habe.«
»Du und Bundeswehr, das passt wirklich nicht.«
»Bei der Musterung habe ich einen auf Psycho gemacht und wurde für zwei Jahre zurückgestellt. Mit dem Attest aber kann ich es schaffen, überhaupt nicht hinzumüssen. Dann habe ich freie Bahn fürs Konservatorium, dann mache ich die Aufnahmeprüfung und studiere. Das ist der Plan.«
»Und du glaubst, das funktioniert?«
»Ich kenne einige, die damit durchgekommen sind.«
Am Fenster machte es Plok-Plok. Billy hielt einen silbernen Koffer in der Hand, einen von der Sorte, wie ihn Fotografen für ihre Ausrüstung benutzen.
Darin musste der Kunstkopf sein, die neueste Entwicklung in der Aufnahmetechnik. Und Andi war einer der Ersten, die das Ding testen durften.
Wir luden Billy und seinen Schatz auf den Rücksitz. Bemüht, den Kunstkopf und damit die Aufnahmen nicht zu gefährden, fuhr Andi diesmal ganz brav, als transportiere er ein rohes Ei.
Die Bundeswehr stand mir irgendwann auch noch bevor. Einen Musterungsbescheid hatte ich noch nicht, das würde noch ein bisschen dauern. Sollte ich verweigern? Dann hatte ich diese verfickte Gewissensprüfung an der Backe. Es hieß, sie ließen fast jeden durchfallen. Wenn es so weit war, dann brauchte ich auch so ein Attest.
»Lasst uns erst mal einen rauchen«, sagte Billy, als wir endlich wieder in Andis Apartment waren.
Warum nicht, ein solch interessantes Ereignis in der angemessenen Stimmung zu erleben, dagegen sprach eigentlich nichts. Ich nahm einen tiefen Zug und hielt das Teil Andi hin. Der winkte ab. Ich zog ein zweites Mal und gab Billy den Joint zurück. Meist reichten mir ein oder zwei Züge, um abzuheben.
Billy, der Zeremonienmeister. Als handle es sich um die englischen Kronjuwelen oder etwas ähnlich Wertvolles, öffnete er vorsichtig den Koffer und holte etwas hervor, das wie der Kopf einer Schaufensterpuppe aussah.
Unser Technikchef stellte das Teil aufs Klavier. Schließlich griff er noch einmal in die Kiste und holte das Uher Report hervor, jenes portable Tonbandgerät, mit dem er auch beim Festival Aufnahmen gemacht hatte. Er schloss eine Reihe von Kabeln an. Nun war der Kunstkopf mit dem Tonband verbunden. Es konnte losgehen.
»Ich brauche eine Tonprobe«, sagte Billy.
Andi schlug ein paar Töne an. Sie probierten ein bisschen herum. Schließlich hatte Billy alle Einstellungen so, wie er es brauchte.
Fasziniert schaute ich zu.
»Wie funktioniert das Ding?«, fragte ich.
»Die Mikrophone des Kunstkopfes nehmen die Musik so auf, wie es das menschliche Ohr wahrnimmt. Und das in Stereo. Probier mal selbst.«
Er hielt mir den mitgebrachten und bereits am Uher angeschlossenen Kopfhörer hin. Andi spielte wieder ein paar Töne an. Als das Klavier
Weitere Kostenlose Bücher