Trips & Träume
in meinem Ohr ertönte, glaubte ich mich in einer anderen Welt zu befinden. Der Sound war umwerfend. Es klang so, als würde ich mitten im Orchester, direkt neben dem Pianisten sitzen.
»Das ist ja unglaublich«, sagte ich.
»Das Ganze hat nur einen kleinen Schönheitsfehler. Wenn du die Kunstkopfaufnahmen über eine ganz normale Anlage abspielst, ist der Räumlichkeitseffekt flöten. Es hört sich nur mit Kopfhörern so an, dass du denkst, du stehst mittendrin.«
Ich versuchte ein interessiertes Gesicht zu machen, verstand aber im Grunde gar nichts.
»Können wir loslegen?«, meldete sich Andi zu Wort.
Zwei Stunden später hatten sie eine Version des Songs auf Band, mit der auch Andi zufrieden war. Fehlerfrei gespielt und in einem Rutsch durch.
Ich saß auf einem von Andis Sitzteilen, den Rücken an die Wand gelehnt. Zugedröhnt, wie ich war, kritzelte ich ein bisschen auf meinem Notizblock herum, ließ meinen Gedanken freien Lauf. Die Melodie schrie danach, einen Text hinzubekommen. Doch das war gar nicht so einfach. Einen Artikel zu schreiben, darin war ich besser.
Andi hatte mitbekommen, dass ich mir Notizen gemacht hatte, und streckte die Hand nach dem Heft aus. »Lass deine Aufzeichnungen hier. Vielleicht ist ja was dabei, was sich verwenden lässt.«
Warum nicht, dachte ich und riss die betreffenden Seiten heraus.
Andi wirkte mit einem Mal sehr ernst. »Ihr versprecht mir, dass das, was heute hier gelaufen ist, unter uns bleibt?«
»War doch so abgemacht«, antwortete ich.
»Billy, du auch?«, fragte Andi.
»Schon gut, alles klar.«
Billy hielt die aufgewickelte Bandspule in der einen, einen Filzstift in der anderen Hand, bereit, das Ding zu beschriften.
»Und wie soll das Meisterwerk heißen?«
»Karen’s Song«, sagte Andi.
*
Sie saß an der Theke und sprach mit Kief.
Ich merkte sofort, dass etwas an ihr anders war.
»Du kannst mich nur noch nächste Woche einplanen«, hörte ich sie sagen. Kief runzelte die Stirn, doch dann zuckte er mit den Schultern.
Die Prog-Rocker waren eigentlich recht eifrige Mattenschwinger. Doch an diesem Dienstag war nichts mit Posing. In Dreiergrüppchen hatten sie sich auf der Tanzfläche formiert, tuschelten aufgeregt durcheinander und lauschten einer Musik, die mir bekannt und doch irgendwie fremd vorkam.
Fragend schaute ich Kief an. »Was ist hier los?«
»Die neue Scheibe von Gentle Giant ist erschienen und wird gerade einer kritischen Begutachtung unterzogen«, antwortete er grinsend.
Als Karen mich erblickte, hellte sich ihr Gesicht auf.
Sie drückte mich heftiger als sonst.
»Du glaubst nicht, was passiert ist.«
»Was denn?«, zwitscherte ich gutgelaunt.
Ihre Augen leuchteten. »Christiania! Die Besetzung! Gestern sind rund hundert Freaks in das Hauptgebäude der ehemaligen Kaserne eingezogen und haben ihren eigenen Staat ausgerufen.«
Ich blieb gelassen. »Darüber habe ich nirgends etwas gelesen.«
»So was steht nicht im Lokalblättchen und kommt auch nicht als Topnachricht in der Tagesschau. Ich habe es von Miti erfahren, sie hat angerufen. Alles lief friedlich ab. Kein Ärger mit der Polizei. Die haben eher blöd geguckt, als die Leute aufs Gelände sind und ihre Transparente aufgehängt haben.«
Dass sie Miti erwähnte, verursachte bei mir einen Stich.
»Hat sie sonst noch was gesagt?«
»Dass ich dich grüßen soll.«
Karen drückte mir ihre Lippen auf die Wange, direkt neben den Mund.
»Gib ihm einen Kuss von mir, hat sie gesagt.«
»Dann bist du ja wohl bald weg«, antwortete ich.
»Rike und Miti haben schon eine Unterkunft gefunden. Dort stehen jede Menge Wohnungen frei, du musst nur einziehen und renovieren. In Christiania wurde ein Kommunenrat gegründet, basisdemokratisch, verstehst du? Sie wollen alles nach ihren eigenen Ideen verwirklichen.«
»Woher haben die eigentlich die Kohle dafür, haben die dänischen Freaks etwa im Lotto gewonnen?«
»Was bist du nur wieder so frotzelig? Was meinst du, warum ich dauernd hinter der Theke schufte? Aber es soll ein Antrag auf Unterstützung durch die Stadt Kopenhagen gestellt werden, schließlich richten die Freaks denen das Gelände auf eigene Kosten wieder her.«
Ich lächelte schief. »Christiania, der Gegenentwurf zur bürgerlichen Gesellschaft, kann nur entstehen durch Geldspritzen des Kapitals. Adorno hatte recht, es gibt richtiges Leben im falschen.«
Warum redete ich plötzlich so abfällig? War ich neidisch, weil ihr Traum Konturen annahm?
»Adorno kann mir gestohlen
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