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Trips & Träume

Trips & Träume

Titel: Trips & Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Fischer
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nickte. »Mittlerweile gibt es überall solche Szenen wie bei euch. Ich kann verstehen, dass du diesen Moment festhalten willst. Aber die Dinge entwickeln sich weiter, Menschen entwickeln sich weiter. Das passiert einfach. Das kannst du nicht aufhalten, das ist der Lauf der Dinge.«
    »Wir sind vor einem Jahr von der Großstadt in ein Dorf im Hunsrück gezogen«, machte Westrupp weiter, »Auch wir mussten lernen loszulassen. Dafür haben wir viel Neues hinzugewonnen. Denk mal darüber nach.«
    Aus der oberen Tasche der Weste holte er eine Zigarette, die aussah wie eine Selbstgedrehte, steckte sie sich an und nahm einen tiefen Zug, dann reichte er sie weiter an mich. Leckeres Gras. Dachte ich. Wie ein Verdurstender, der nach Wasser lechzt, saugte ich an der Kippe. Sie knisterte, wie es sich gehörte, und roch wie ein asiatisches Gewürz.
    Erstaunt schaute ich sie an. Was war das für ein Kraut?
    »Da guckst du, was? Das sind indische Zigaretten. Einfach ein Tabakblatt, zusammengehalten von einem Bindfaden«, sagte Witthüser.
    Sie prusteten los, und ich fiel ein in ihr ansteckendes Lass-uns-auf-die-Reise-gehen-Lachen.
    *
    Den Auftritt von Witthüser & Westrupp bekam ich nicht mit.
    Als sie auf der Bühne standen, versuchte ich hinter den Kulissen zu verhindern, dass sich Mark und Andi an die Gurgel gingen.
    Und das im wahrsten Sinn des Wortes.
    Der Abend hatte vielversprechend begonnen. Die Leute standen Schlange, an der Abendkasse ging noch was. Wie ich es mir gedacht hatte.
    Die Freaks aus der gesamten Lahngegend waren aus ihren Löchern gekommen. Karen saß an der Kasse und zählte 750 Kartenschnipsel. Don zählte auch. Und zwar Scheine. Er hatte ein zufriedenes Grinsen aufgelegt. Das konnte nur heißen, es gab keinen Grund mehr zu jammern. Ein Glück, eine Neuauflage seines Managerblues hätte ich nicht ertragen.
    Kurz nach acht enterten Skip, Gero, Paul und Mark die Bühne, klemmten sich hinter ihre Instrumente und stimmten ohne Begrüßung des Publikums einen Song an, den ich noch nicht kannte. Das Stück hatte einen jazzigen Beat, mit einem kleinen Schuss Funk drin. Das war neu, und ich war positiv überrascht, dass sie das draufhatten. Ein gelungener Einstieg.
    Aus dem Bühnenhintergrund tauchte Reed Isberg auf. Gemächlichen Schrittes ging er auf das eigens für ihn aufgestellte Mikrophon zu. In dem silbergrauen Anzug, das Saxophon vor dem Bauch baumelnd, den Borsalino tief ins Gesicht gezogen, machte er wieder auf Gato Barbieri.
    Er legte eine Show hin, die es in sich hatte.
    In aller Ruhe nahm er den Hut vom Kopf und drapierte ihn an den Mikroständer. Dann holte er einen Kamm hervor, strich sich die ölig glänzenden Haare glatt und schlüpfte aus dem Jackett, das er ebenfalls an den Mikroständer hängte. Die oberen vier Knöpfe seines schwarzen Hemdes waren offen, seine enorme Brustbehaarung kam zum Vorschein. Dann setzte er den Borsalino auf.
    Bis dahin hatte er noch keinen einzigen Ton gespielt. Sein ganzes Getue diente nur einem Zweck. Und selbst der Letzte im Saal kapierte es, Reed Isberg war der Star des Abends. Die Freaks, die sich wie immer auf dem Boden ausgebreitet hatten, starrten ihn an wie ein neuntes Weltwunder.
    Skip, Paul, Gero und Mark wussten es noch nicht, ich auch nicht, aber sie waren bloße Statisten in einer Posse, die nun losging.
    Mit einer übertriebenen, fast theatralisch anmutenden Geste setzte Reed Isberg das Saxophon an den Mund.
    Klänge erfüllten die Halle, die ich so noch nie gehört hatte.
    Er heulte wie ein Wolf, röhrte wie ein Hirsch, jaulte wie ein auf den Schwanz getretener Hund, quietschte wie ein Schwein beim Abschlachten, spuckte wie ein Lama, rülpste wie ein Rhinozeros. Im nächsten Moment entlockte er dem Saxophon ein Klingeln, Hupen und Krachen. Ein Auffahrunfall in der Rushhour am New Yorker Times Square, in den ein Viehtransporter verwickelt war. All diese Laute hatte er drauf. Es war faszinierend. Er spielte mit maximaler Power. Das war Free Jazz pur.
    Aber es hatte anscheinend nichts mit dem zu tun, was die Jungs mit ihm eingeprobt hatten. Je länger das Ganze dauerte, je heftiger Isberg blies, desto frustrierter und länger wurden die Mienen von Mark, Skip, Paul und Gero.
    Paul gab als Erster auf.
    Er legte die Gitarre auf den Boden, was zu einer ohrenbetäubenden Rückkopplung führte. Gerade noch hatte Gero der Orgel Zunder gegeben und an den Registern gezogen, doch nun nahm er plötzlich die Hände von den Tasten und folgte Paul hinter den

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