Trips & Träume
Wie damals.
Verstand er wirklich? Hatte ich nicht meine Seele an den Teufel, an den schnöden Mammon verkauft? Mark hatte Erfolg mit einem gestohlenen Song. Und ich? Ich schrieb Gefälligkeitsartikel für die Musikindustrie.
William parkte vor der Berufsschule. Ich erkannte die Treppe wieder, auf der wir, die ganze Korona, Karen, Don und Mark, die Freaks vom Hausboot, einst abhingen, wo wir kifften, Musik machten oder einfach die Zeit totschlugen, bis das Rats aufmachte. Das Rats, das es schon lange nicht mehr gab. An dessen Stelle sich heute Wohnungen befanden. Das Restaurant, in das wir wollten, lag fünf Minuten entfernt – in dem Haus, in dem einmal das Müsli gewesen war.
Ich löste den Sicherheitsgurt, William hielt mich am Ärmel fest.
»Ich hab etwas für dich.«
Die Schachtel war aus Holz. Der Deckel hatte einen Klappverschluss. So etwas Ähnliches hatte ich schon einmal gesehen. Hatte Karen in einer solchen Kiste nicht ihren selbstentworfenen Schmuck aufbewahrt?
»Mach es auf«, sagte William.
Ein dicker schwarzer Einband und darunter ein vergilbter, früher mal brauner Umschlag. Diesmal zitterte ich wirklich. Vorsichtig nahm ich das Buch heraus und schlug es auf. Christiania, 17. November 1971. Andi ist fort. Das IJsselmeer hat ihn zu sich genommen und wird ihn nicht mehr hergeben ..., stand auf der ersten Seite. Ich erkannte sofort Karens Handschrift. Sie hatte noch diese Schönschrift beherrscht, die wir damals in der Schule lernten, die Buchstaben im Dreißig-Grad-Winkel.
Ich schloss die Schachtel wieder. Mit einem Mal überkam mich das Gefühl, ich hätte nicht das Recht dazu, das alles zu sehen.
»Was ist los?«, fragte William.
»Ich bin jetzt zu aufgeregt. Das muss ich in Ruhe machen. Danke, dass du mich ihr Tagebuch lesen lässt.«
Aber da war noch der Umschlag. Ich hatte ihn vor mehr als dreißig Jahren in der Hand gehalten.
Ein zweiseitiges Papier. Pro Seite acht Reihen von Fünferlinien. Fein säuberlich eingetragene Noten. An einer Stelle konnte man noch erkennen, dass mit dem Radiergummi ausgebessert worden war.
Ich war dabei gewesen, als er es niedergeschrieben hatte. »Karen’s Song«, von Andi komponiert. Den Mark nun für sich beanspruchte.
»Fehlt nur noch das Tonband«, sagte ich.
*
In einem separierten Raum im hinteren Teil des Restaurants waren für die Trauergesellschaft Tische reserviert. Ich stocherte lustlos in einem Lachs-Risotto herum, bekam einfach nichts runter.
Ich begnügte mich mit Rotwein. Als das Essen abgeräumt wurde, hatte ich bereits eine Flasche geleert. William sah besorgt vom Tischende zu mir herüber. Er saß bei Daniel und seinen Großeltern, Karens Eltern und ihrem Bruder.
Ich hatte mich ans andere Ende zu Paul, Gero und Skip gesetzt.
»Früher Kiffer, jetzt Weinkenner?«, fragte Skip und drehte die Härchen an seinem mittlerweile leicht ergrauten und gut gepflegten Rasputinbart.
»Nein, nein«, wehrte ich ab. »Ich will mich nur ablenken.«
»Willst du darüber reden?«
Ich schüttelte den Kopf und fragte: »Gibt es noch so was wie das Musikfieber in unserem Kaff?«
Skip horchte auf. »Was meinst du?«
»Junge Leute, die Musik machen. Sich in Bands formieren. Aufbegehren gegen das System, die Spießer und die Langeweile. Wie wir damals«, sagte ich.
»Interessant, dass du das fragst. Paul, Gero und ich haben uns kürzlich auch darüber unterhalten.«
»Und?«
»In den Generationen nach uns ist nichts Gleichwertiges nachgekommen. Ein, zwei Combos vielleicht. Es wurde nie wieder so intensiv wie zu unseren Zeiten. Aufbegehren will keiner mehr. Musik spielt bei den Kids von heute keine so große Rolle wie früher bei uns. Sie ist zwar noch immer wichtig, aber sie gehen anders damit um.«
Ich musste ihn wie ein demoliertes Auto angeschaut haben, denn nun fragte er auf einmal: »Was ist los, der Alkohol bekommt dir wohl doch nicht?«
Nein, es war nicht der Alkohol. Ich war erschrocken über seine Früher-war-alles-besser-Antwort. Gut, erst waren MTV und Walkman gekommen, dann die CD, später Computer, Internet und iPod. Dies alles hatte zu einem anderen Umgang von Musik geführt, das war richtig. Was aber nicht hieß, dass Musik jungen Leuten nichts mehr bedeutete. Das Gegenteil war der Fall. Kürzlich hatte ich gelesen, dass auf einen gekauften Song auf iTunes vierzehn illegal heruntergeladene kamen.
Zu Zeiten des Musikfiebers hatte es drei TV-Programme und das Radio gegeben. Das war im Vergleich die reinste Steinzeit gewesen, jetzt
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