Trips & Träume
machen?«
Ich setzte den treudoofsten Dackelblick auf, zu dem ich in dieser Situation fähig war. »Ich bin bis dreiundzwanzig Uhr wieder zurück. Das heißt, wir haben noch was von dem Abend, und morgen können wir uns einen schönen Tag machen. Du, Maja und ich.«
»Nein, nicht so. Ich kann dir nicht versprechen, ob ich kann.«
»Mila, was soll das nun heißen?«
»Auch ich habe Termine. Richtig wichtige sogar. Redaktionssitzung, Nachbereitung der Berichterstattung. Boris will das so.«
»Ich dachte, du hättest ein paar Tage frei.«
»Das kann so nicht weitergehen«, antwortete sie.
»Ich kann Berlin nicht absagen. Das ist wichtig für die Zukunft.«
»Deine? Meine? Unsere? Bei mir geht es auch um die Zukunft.«
»Mama, Papa, bitte nicht streiten«
Maja boxte gegen mein Bein. Sie blickte zuerst mich, dann Mila an. Es zerriss mir das Herz.
»Maja, wir streiten uns nicht ... wir ...«, stotterte ich.
»... haben nur eine Meinungsverschiedenheit«, brachte Maja trotzig den Satz zu Ende.
Mila und ich schauten beide auf die Kleine. Es war ein Gefühl, als hätte jemand mein Herz umklammert und eisern zugedrückt. Als ich ins Flugzeug stieg, hielt ich die Paradiesblume noch immer in der Hand.
Ich gab sie der Stewardess.
*
Der Flug dauerte fünfundfünfzig Minuten.
Die Maschine war voll besetzt. Dreierreihen an den Fenstern entlang, in der Mitte ein schmaler Gang. Eine stattliche Zahl von Businessmenschen schwärmte aus, um die Plätze einzunehmen.
Männer in grauen Anzügen und Frauen in dunkelblauen Bürokostümen, wahrscheinlich auf dem Weg zum Seminarwochenende in Berlin-Mitte. Die Businessmenschen lachten und redeten durcheinander.
Zwei Stewardessen standen bereit, Mäntel und Jacken auf Bügel zu hängen und im vorderen Teil des Flugzeugs zu verstauen. Es waren ein paar ältere Leute unter den Fluggästen, eine Art Rentnerclub, die den Reichstag besichtigen wollten, wie ich mir aus aufgeschnappten Gesprächsfetzen zusammenreimte. Reihe zwölf, Fensterplatz. Neben mir saßen zwei jüngere Männer, Anfang zwanzig, jeder mit einer Brian-Jones-Frisur, wie sie jetzt wieder in Mode war. Sie trugen Macbeth-Turnschuhe, Volcom-Sweater und ausgebeulte Cargo-Pants, einer zog am Reißverschluss seiner Muhammad-Ali-Trainingsjacke von Adidas. Beide starrten wie hypnotisiert auf ihre Handys, auf denen sie kurz vor dem Start noch ein paar SMS verschicken wollten. Sie waren wahrscheinlich Studenten, konnten aber auch Mitarbeiter einer Plattenfirma oder einer aufstrebenden Konzertagentur sein. Vielleicht gehörten sie der »Generation Praktikum« an. Du und dein Schubladendenken, dachte ich.
Karens Tagebuch, Andis Notenblätter und die Zeitungsausschnitte steckten in der Aktentasche, die vor mir in der Ablage des Vordersitzes steckte.
Als die Boeing ihre Flughöhe erreicht hatte, die Signale aus- und die Flurleuchten angeschaltet wurden und die Stewardessen damit begannen, Getränke gegen Bezahlung auszuschenken, ging ich noch einmal alles durch.
Was war in Milas Abwesenheit geschehen? Direkt nach dem verrauschten Telefonat mit ihr hatte ich bei der Musikszene angerufen.
Der Herr Chefredakteur befände sich noch bis Ende der Woche in Urlaub, sagte die Dame, die sich als seine Sekretärin vorstellte. Ob sie mich mit einem Redakteur verbinden solle, gerade sei der Kollege hereingekommen.
Das sei sehr nett, meinte ich, aber es wäre wohl besser, mit dem Chef persönlich zu sprechen. Nun, wenn es so wichtig sei, solle ich doch eine E-Mail schreiben. »Er ist zum Skifahren in Österreich, kann aber von dort aus Mails abrufen«, sagte sie. Eine Mail schreiben, genau das würde ich machen, antwortete ich, bedankte mich und legte auf.
Ich erinnerte mich an das, was Skip gesagt hatte, und ging ins Internet.
Der Offenburger Musiker Jürgen Winter, von Freunden Judy gerufen, hatte 1974 mit seiner Gruppe Jud’s Gallery beim SWR (genau dort, wo Dreamlight beinahe auch gelandet wären) ein paar Songs aufgenommen. Die Aufnahmen galten als verschollen. Doch eine kleine Plattenfirma entdeckte die Bänder, kaufte sie auf und veröffentlichte sie im Jahr 2000.
Auf der CD waren neun Stücke, darunter auch »Nordrach«, ein zwölfminütiges, typisches Krautrockstück, ein Epos über den gleichnamigen Schwarzwaldfluss. Ab Minute 8.15 tauchte in der Nummer eine langsame Gitarrenmelodie auf, begleitet von einem getragenen Rhythmus. Um genau diese Melodie und den Rhythmus ging es. Der Schlusspart von »Nordrach« stimme in
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