Trips & Träume
Dokument für Quatsch. Überhaupt war es unklug, die Alten mit hineinzuziehen. Huguette hatte ich erzählt, wir würden übers Wochenende zum Campen an einen See im Westerwald fahren. Das mit dem See und Zelten war nicht gelogen. Dass es sich um den Genfer See handelte, behielt ich für mich.
Der Zöllner hielt Dons Schreiben in der Hand.
»Jazz Festival Montreux. So so. Weiterfahren, dalli, dalli, halten Sie den Verkehr nicht auf.«
Schmollend steckte Don seinen Schrieb wieder ein. Der Beamte hatte gar nicht richtig draufgeschaut.
»Was für eine bescheuerte Aktion.« Andi sprach aus, was wir alle dachten.
Nach zehn Kilometern hielten wir am erstbesten Schweizer Rasthaus, tankten, deckten uns mit Tabak ein, gingen pinkeln. Es gab auch eine Wechselstube, in der wir einen Teil unseres Geldes in Franken umtauschten.
Anschließend bunkerten wir Baguette, Butter, Wurst und Käse, bauten daraus dicke Sandwiches und tranken Kakao.
Als Andi vom Klo zurückkam, hatte er eine Zeitung unterm Arm. Er legte den Zürcher Tages-Anzeiger auf den Tisch und sagte, an mich gerichtet: »Hey, Schreiberling, die haben das gesamte Programm abgedruckt.«
Im Kulturteil wurde das Jazz Festival mit einer ganzen Seite gewürdigt. So erfuhr ich, dass das Festival 1967 gegründet worden war und im Spielcasino von Montreux stattfand. Größen wie Gato Barbieri (der Saxophonist, den Andi so toll fand), Count Basie, Roberta Flack, Les McCann, Larry Coryell, Aretha Franklin, Art Ensemble of Chicago, Charlie Mingus, Archie Shepp, Soft Machine und viele andere Stars hatten ihr Kommen angekündigt. Und Magma, die als die Shootingstars aus Frankreich bezeichnet wurden.
Wir mampften unsere Sandwiches und grinsten uns an wie eine bekiffte Viererbande. Ich glaube, in diesem Moment spürte jeder für sich etwas Besonderes.
Es war nicht nur die Vorfreude auf Montreux.
Wir fuhren weiter. Drei Stunden ohne Pause.
Bei Lausanne verließen wir die Autobahn. Je näher wir dem Ziel kamen, desto mehr verflüchtigte sich das Gefühl der Zusammengehörigkeit.
Bald hatte ich es vergessen.
*
»Was machen wir nun?«
Die Ringe unter Andis Augen wurden immer größer. Seine Lider konnte er kaum noch aufhalten, jede Sekunde würde er einschlafen. Don und Mark lümmelten auf der Rückbank. Der Magen hing uns sonst wo, alles Essbare war verzehrt, nicht mal einen Schokoriegel gab es mehr.
Auf der rund dreißig Kilometer langen Strecke um den Genfer See brannte die heiße Augustsonne auf uns herunter und hüllte die Landschaft in eine kitschige Postkartenatmosphäre.
Aus Zelten sollte nichts werden.
Drei Campingplätze klapperten wir ab. Es empfing uns immer das gleiche Schild: Belegt. Das hatten wir überhaupt nicht auf der Rechnung. Wo sollten wir schlafen? Ein Hotel konnten wir uns nicht leisten.
Es war vier Uhr nachmittags, die Hitze hing drückend schwül über dem See, als wir schließlich unser Ziel erreichten.
Wir kurvten mit heruntergedrehten Scheiben durch enge und zugeparkte Straßen. Es waren so viele Autos unterwegs, dass es nur im Schritttempo weiterging. Andi gab alles, die Straßen von Montreux forderte den letzten Rest an Konzentration von ihm. Er fuhr den Schildern nach, auf denen irgendetwas von Festival und Casino stand. Wir fanden uns an der Uferpromenade wieder.
Vom Wasser her wehte ein erlösender, frischer Wind.
»Lasst uns die Kiste hier abstellen«, sagte ich. »Wir besorgen uns was zu essen und veranstalten ein Picknick. Was das Pennen anbelangt, knacken wir einfach auf der Wiese.«
Don gab einen knurrenden Laut von sich. Ich deutete es als Zustimmung. Mark blinzelte verschlafen in die Sonne, Andi konnte nur müde nicken.
Zwanzig Minuten später stolperten wir mit Tüten beladen aus dem Supermarkt, den ich direkt neben dem Parkplatz entdeckt hatte. Andi holte eine Decke und den Gaskocher aus dem Auto. In Sichtweite des Wagens machte er auf einem Rasenstück in der Nähe des Ufers ein schattiges Plätzchen unter einem Baum aus. Auf der Promenade waren Spaziergänger und Rucksackgrüppchen unterwegs, wahrscheinlich Touristen wie wir.
Am Himmel war nicht die kleinste Wolke zu sehen. Dafür Wasser und Berge, wohin man blickte.
Ich nahm einen Schluck aus der Chiantiflasche, der Liter für sechs Franken. Die Flasche kreiste, wir hatten drei davon, und bald waren wir mehr als nur angeheitert. Mark warf den Kocher an, und wir verputzten vier Dosen Ravioli, für jeden eine, dazu Baguette. Der kleine Topf, in dem wir die Ravioli zum
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