Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Trisomie so ich dir

Trisomie so ich dir

Titel: Trisomie so ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Bernemann
Vom Netzwerk:
schlichten, dummen Betreuten machen wollen. Zur Krönung seiner Degradierungsansprache legt der Mann Roy eine Hand auf die Schulter, was er sonst nie tut, und Roy zuckt ein wenig, weil der Mann das wirklich noch nie getan hat und es sich deswegen so fremd und distanzdurchbrechend anfühlt, und seine pseudoempathische Stimme tönt in einer ekeligen Pastellfarbe, die für Roy ein wenig klingt wie ein schriller Zahnarztbohrer, der Mundräume verwüstet, und er sagt: »Mit dem Kollegen Roy hier, da kannst du machen, was du willst, er ist ein herzensguter Kerl.« Der Typ ahnt nicht, wie recht er damit eigentlich hat. »Leider spricht er nicht mit uns«, ergänzt der Mann dann noch, als sei Mutter Theresa persönlich in ihn gefahren, und Roy guckt ausschließlich gleichgültig, weil er ja hier wieder die Bestätigung seiner Theorie bekommt, dass Worte die unkonkretesten Beschreibungen der Welt überhaupt liefern können. Kein Gramm Gefühl, was wirklich in Roy steckt, wird durch diese Worte an Solveig getragen, kein noch so schmaler Seelenfitzel Roys wird erahnbar. Der Mann knufft Roy in die Seite, so ein freundschaftlich verständliches Knuffen ist das, das Roy schon einige Male bei Fußballern im Fernsehen gesehen hat, die einen Torjubel zelebrieren. Aber das hier ist das Gegenteil von Freundschaft, weiß Roy, das hier ist eine Theateraufführung, die da heißt »Die Schöne, der Störfaktor und ich.« Solveig lächelt, der unliebsame Mann lächelt, Roy schaut ausschließlich neutral.
    Was aber stimmt, ist die Tatsache, das Solveig mit Roy machen könnte, was sie will, und er würde still dasitzen und sich gefallen lassen, was ihm widerführe. Sein Blick klebt aber einigermaßen gleichgültig in den Augen Solveigs, in denen er sich sehen kann, und sie, ja, sie lächelt und hält Roy die Hand hin, und als er ihr seine hinstreckt, um sie zu berühren, fährt da ein Blitz durch seine Eingeweide, der ihn fast von seinem Stühlchen zerrt. Dieser Händedruck dauert länger als ein gewöhnlicher Händedruck, und Roy genießt die kleine Handfläche in seiner Pranke, dieses Haut-an-Haut-Gefühl und die Wärme dieser Mädchenhand verabreichen ihm elektrisch aufgeladene Stöße, die durch die gereichte Hand über den damit verbundenen Arm direkt auf sein Herz schießen. Roy war sich sicher, so fühlt es sich dann wohl an, den Arsch voller Glück zu haben …
    Dass Zufälle niemals Zufälle sind, war selbst Gott nicht bewusst. Da plätschert das Leben runter, Banalitäten folgen auf Katastrophen und umgekehrt, und niemand kann jemals ein System in diesem Ding erkennen, das sich Existenz nennt. Die ist halt da, die Existenz, und man muss als Mensch gucken, dass sie bleibt, und ab und an sind dann Dinge möglich, wie sie grad dem Roy passiert sind. Der Morgen startet voller Peinlichkeit, voller drückender Unzuversicht, man denkt schon, dass Leben wird ein ewig verseuchter, unbestellbarer Acker bleiben und dann passieren doch noch grandiose Dinge, einfach so, ganz so, als hätte Gott seine Finger im Spiel gehabt. Und das Schicksal schlägt mit einer Gutmütigkeit zu, dass man meint, die Sonne geht heute öfter als nur einmal auf. Gott aber spricht: Ich war das nicht!

Wenn ich was drehe, dann durch
    Solveig steht im Stau. Um sie herum hupen die Gefühle der Einsamkeit, eine Art Flügelgelähmtheit und allgemeine Beschwernisse durch ihren Job. Es ist heiß, sie hat Durst, die Klimaanlage im Kopf ist kaputt und sie verpasst die Dinge, die sich außerhalb des Gefühlsstaus aufhalten. Das Innere ihres Herzens und auch das Innere ihres Kopfes sind irgendwie kaputt gegangen.
    Sie hat gebuddelt, hier, nach Erfahrungsschätzen hat sie gegraben, und alles, was sie ausgrub, war ein kleines Leben, das sich wie ein zugeparktes Auto anfühlt. Da dachte man noch, yeah, das hier ist ja mal die passendste aller Parklücken, und dann parkt man ein und geht kurz weg, und irgendwann kommt man dann zurück und die Karre ist zugeparkt, jemand hat sie unausparkbar gemacht. Man kann zwar einsteigen und sich über den gut eingerichteten Innenraum seines Fahrzeugs freuen, aber was bringt die schönste Fahrgastzelle, wenn man nicht weg kann von da, wo man ist. Solveig kann nicht weg von da, wer sie ist, ein unentschiedenes Ding, vom Leben in jungen Jahren derart genervt, dass sie es kaum aushält.
    Sie fühlt sich vom Leben belästigt, und das Leben verhält sich wie ein hinterhältiger Triebtäter, der sie mit irrwitzig glänzender Schokolade in die

Weitere Kostenlose Bücher