Tristan
sich über den Tisch und bildete um die Steine herum schäumende Lachen, wie das Meer es tat, das die Inseln umgab.
Hägon stöhnte auf und schlug die Hände vors Gesicht, Isolde erschrak ein zweites Mal.
»Was ist jetzt?«, rief sie aus.
»Wieder ist alles verändert«, sagte Hägon mit dumpfer Stimme in seine knochigen Hände hinein. »Ich sehe …«
»Was sollst du schon sehen? Hast du nicht schon einmal…?«
»Stürme, verheerende Stürme, Boote auf reißenden Flüssen, Überfälle in dunklen Wäldern …«
»Wovon redest du?«
»Einen Knaben sehe ich«, Hägon sprach weiter, ohne auf Isoldes Einwürfe zu achten, »der sein Schwert führt mit großem Geschick, dann aber in einem Boot auf den Wassern treibt ohne Ruder und das Boot gleichwohl wendet bei hohem Seegang, ich höre …«
Isolde starrte den hageren Mann an, wich zurück und hob die Hände.
»Ich höre, wie er anders denkt als wir, er setzt keinen Fuß vor den anderen, er springt über das hinweg, was er als Gefahr voraussieht, und öffnet dabei seinen Mund, ich höre …«
Nun wollte die Königin nichts mehr wissen von dem Gerede. Sie verstand nicht das Geringste von den Worten, die Bilder fanden keinen Widerhall in ihr. »Sei still!«, befahl sie.
Aber Hägon konnte nicht aufhören. Er nahm zwar die Hände vom Gesicht, doch nur um mit flinken Fingern alle Steine einzusammeln und wieder in dem Beutel verschwinden zu lassen. Dabei hielt er die Augen geschlossen. Isolde verfolgte sprachlos, wie diese Finger zu den Steinen fanden, sie nicht einmal zu ertasten brauchten, sondern einfach, wie von ihnen angezogen, von ihnen ergriffen wurden. Hägon schwankte dabei mit den Schultern hin und her und verfiel bei dem, was er weiter von sich gab, in einen monotonen Gesang. Nun erst wurde Isolde bewusst, dass dieser Mann nicht mehr in ihrer Welt war.
»Der Herr und der Hund werden den Jungen auf seiner Reise begleiten, und der Hund ist im Stein aus Licht gefangen und wird uns den Weg weisen, den sie gehen. Mit seinen Ohren werden wir hören, was ihnen geschieht, mit seinen Augen werden wir die beiden Seiten einer Münze sehen, als wäre sie in der Mitte getrennt und würde sich umklappen über dem Zenit der ewigen Sonne, die sie begleitet. Doch der Knabe selbst ist der Stern, der rot am Himmel leuchtet, bis er in sieben Jahren hinter die Erde zurückkehrt.«
Hägon dehnte die Worte bei seinem Gesang, sodass es Isolde bald unerträglich wurde, ihm zuzuhören. Sie glaubte aber seinem Gebaren und fragte mit scharfer Stimme: »Dann sag mir jetzt, wo der Stern gerade ist!«
Da öffnete Hägon die Augen und sah seine Königin an. Er spürte wohl noch, dass er in einen anderen Zustand verfallen war, wunderte sich aber nicht darüber, sondern antwortete bereitwillig und ohne Zögern: »Constantia bei einem flämischen Spiel voller bunter Figuren, wenn ein Lachen entsteht über die List.«
Mehr sagte Hägon nicht. Er ließ seine Königin ratlos mit dieser Auskunft zurück, indem er sich nach einigen rückwärts gesetzten Schritten und einer tiefen Verbeugung umdrehte und ging.
»Constantia - Spiel - Figuren - List«, diese vier Wörter merkte sie sich, rief nach Brangaene, die sie auf eine Wachstafel schreiben musste, und legte sich auf ihr Lager, ohne zuvor noch nach ihrer Tochter zu sehen. Sie war müde wie schon lange nicht mehr und ärgerte sich darüber, dass sie nicht den Hundstein behalten hatte. Sie hätte Hägon dazu zwingen können, ihn ihr zu überlassen, sie war schließlich die Königin - sie war es, der alles in diesem Land gehörte, auch die Steine.
Spiel - Figuren ~120~ Maol und Kanut
Am nächsten Morgen ließ Isolde erneut den Mönch kommen. In aller Frühe . schickte sie Dorran zu ihm in Begleitung eines bewaffneten Knechts, damit sich Benedictus nicht damit herausreden konnte, sich den Bart scheren zu lassen oder Gebete aufsagen zu müssen - darüber konnte viel Zeit vergehen, das kannte Isolde schon. Als Benedictus ungewaschen und übel nach Schweiß riechend sich bei ihr einfand, machte ihr das nichts aus. Sie hielt ihm die Wachstafel vor die Augen und forderte ihn auf, ihr den Zusammenhang dieser vier Worte zu erklären.
Benedictus stammelte mit klebrigen Lippen, dass er sich überfordert fühle. Er habe nicht einmal einen Schluck Wasser zu sich genommen, in der Nacht habe es geregnet und jetzt seien seine Sandalen voll mit Schlamm und Moder von der Straße, die noch immer keine Abflussrinne habe, wie er es doch schon wieder
Weitere Kostenlose Bücher