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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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unterscheiden kann, der ist auch gut zu Menschen. - Dein Tristan wird ihn brauchen, denn es wird eine Zeit kommen, da er seine Mutter vermisst.«
    Adolphus saß mit Courvenal bei einem Becher Wein im Klostergarten, als er mit ihm über Thomas sprach. Er wusste gleich, dass sein Ordensbruder und Freund, der unter den Benediktinern als ein Freigeist galt, protestieren würde.
    »Eine Mutter kann niemand ersetzen!«, kam es daher auch gleich aus Courvenals Mund.
    »Aber die Schwierigkeit, dass sie nicht da ist, wirst du bald erfahren!« Adolphus lächelte in sich hinein. »Ich bin da«, sagte Courvenal. »Doch eher wie ein Vater.«
    »Und dein Schüler, dieser Thomas, soll die Mutter sein?« Jetzt war es an Courvenal zu lachen.
    »Natürlich nicht!« Adolphus tat entrüstet. »Sondern ein Vorbild an Gutmütigkeit - und immer voller Verständnis.«
    »Wie kannst du dir da so sicher sein?«
    »Weil er ein Waise ist. Eines Morgens lag er schreiend vor unserer Klostertür, eingewickelt in Tücher. Wir haben ihn aufgezogen.«
    »So lange ist er schon hier?« Und indem Courvenal an die vielen Jahre dachte, die vergangen waren seit den Anfängen, da er selbst gemeinsam mit Adolphus Schüler in der Abtei Utrai gewesen war im Grenzgebiet der Franken, nahm ihr Gespräch eine andere Richtung. Courvenal stellte auch keine weiteren Fragen zu dem jungen Mann, sondern gab Adolphus den Beutel mit Münzen, mit denen er das Kloster dafür entschädigte, dass es einen verlässlichen Novizen verlor.
    Anderntags sah Courvenal seinen neuen Gehilfen zum ersten Mal, und sofort fühlte er sich an die alte Weisheit erinnert, dass man niemals etwas in Besitz nehmen sollte, was man nicht zuvor besehen und geprüft hatte. Denn Thomas, von schöner Gestalt und ebenmäßig gewachsen, mit einem ruhigen Gesicht und freundlichen Wesen, unter Klosterbrüdern aufgewachsen und von ihnen großgezogen, liebte die Männer.
    Zum Glück war Courvenal, obwohl noch weit vom Altsein entfernt, erfahren und viel herumgekommen. Zum Glück auch hatte er sich eine Eigenschaft bewahrt, durch die wie durch eine Medizin verhindert wurde, dass sich unverrückbare Bilder in ihm festsetzten. Er hatte erkannt, dass nur die Neugier auf das, was man nicht voraussehen kann und das trotzdem geschieht, dem Leben Hoffnung gibt und ein Gefühl dafür, jedem neuen Tag voller Bereitwilligkeit entgegenzusehen. In den Klöstern, das wusste er, gab es viele Brüder, die sich mit ihrem mönchischen Leben nicht abfinden konnten und des Nachts Frauenhäuser aufsuchten. Andere, die das nicht taten, wandten sich in der Begierde nach Befriedigung ihren Mitbrüdern zu, verschwanden paarweise in den Klosterzellen und entweihten sie. Auch gab es welche, die missbrauchten die Unschuld ihrer Schüler, zwangen sie zu Diensten, die gegen alle Gebote der Kirche standen, und machten sie dank ihrer Aufsicht abhängig von sich. Solche »Krautmönche«, wie sie Courvenal in seinen Notaten nannte, weil sie sich von den Novizen »reiben« ließen, waren für ihn zugleich Kohlköpfe, denen der Verstand und der rechte Glauben verloren gegangen war. Und die Kinder, die sie für ihre Zwecke in ihren »Dienst der Liebe« genommen hatten, glaubten nach einer Zeit, dies sei das normale, ursprüngliche Leben und setzten es heranwachsend fort, indem sie sich selbst eine Schar Untergebener heranzogen, die nun ihnen Gespielen waren.
    Die Geschlechtslust, schrieb Courvenal in sein Heft, nachdem sie schon ein paar Tage mit Thomas unterwegs waren, zeigt sich beim Manne und der Frau in den Blicken, die sie sich einander zuwerfen. Will aber ein Mann einen anderen oder gar einen Zögling für sich gewinnen, ist alles Geistige aus diesem Blick gewichen. Der Augenblick ist zwar noch immer das Ziel, aber alles Leben darüber hinaus kann verleugnet werden. Der Mensch ist und bleibt allein, wenn er sich nicht paart, und dies tut er nur, um Zeugen für sich zu schaffen. Er will gelebt haben, deshalb macht er sich Kinder. Jemand aber, der nie Kinder mit einem anderen machen können wird (infecundus est), der sieht in seinen eigenen Abgrund und wird dort hinein voller Trauer stürzen. Das Furchtbare ist, dass er alle, die er je berührt hat und die sich an ihm versuchten festzuhalten, mit nach unten zieht in eine Ungewissheit, die kein Boden ist für Menschen, die zusammenleben wollen in Frieden. Die Herrschsucht ist der Tod, denn wer herrscht, kann weder teilen noch lieben. Er herrscht nicht einmal über sich selbst. Nur die

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