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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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Begierde treibt ihn vorwärts - und diese Begierde macht ihn oft schön!
    Als Courvenal diese Sätze wie aus einem einzigen Schwung der Feder, die er in der Hand führte, aufgeschrieben hatte und überlas, wusste er nicht mehr genau, welchen Sinn er ihnen hatte geben wollen. Er hatte an Tristan und Thomas gedacht und daran, was er dagegen tun konnte, dass der Gehilfe seinen Zögling verführte. Denn längst hatte er bemerkt, dass Tristans Geschlecht reifte. Zwar noch nicht so wie zum ausgewachsenen Mann, doch die Neugier wuchs, wissen zu wollen, was sich im Leib veränderte, wenn er sich zwischen den Beinen rieb. Es würde nicht mehr lange dauern, vielleicht nur noch ein Jahr, da würde der Junge erleben, dass er Samen erzeugte, wie es jedes Lebendige auf dieser Welt auf seine Weise tat. Bald würde der August kommen, dachte Courvenal, und dann würden am Himmel die Sternschweife zu sehen sein, besonders hier am südlichen Himmel, und der Junge würde Fragen stellen. »Überall geschieht ein Gleiches!« - Sollte er ihm das antworten, diesen hohlen, nichtssagenden Satz?
    Courvenal schloss das Heft. Sie waren im letzten Monat in Magdeburg, an der Saale, in Mainz und schließlich in Worms gewesen. Nun waren sie auf halbem Weg nach Speyer - von manchen immer noch spira genannt -, um dort im Dom zu beten, dem schönsten und größten Bauwerk, das Menschen bislang hervorgebracht hatten. Der Dom sollte fast vollendet sein, die Einweihung stand bevor, so hieß es zumindest. Doch stets stand irgendwo die Einweihung einer Kathedrale bevor, und wenn man dort anlangte, war das Gotteshaus, von Gerüsten umstellt, unkenntlich gemacht, und es konnte noch Dezennien dauern, bis sich die gesamte Gestalt des Gebäudes erahnen ließ.
    Die größte Enttäuschung, hatte Courvenal in seinem Heft festgehalten, war der Anblick der Kirche in Colonia. Da war nichts zu sehen als ein riesiger Steinhaufen, Turmstümpfe wie angefaulte Eckzähne im Gebiss eines Alten. Die Steinmetzarbeiten an den Figuren waren unterbrochen, der heiligen Elisabeth fehlte ein Arm und der Kopf, Marmorstücke für den Domboden lagen unsortiert im westlichen Kapitell, Holztreppen führten zum Eingang und waren so morsch, dass wir vorsichtig immer den Griff am Geländer behielten.
    Und war es in Worms anders gewesen? Courvenal sah vor sich, wie sie längs des rhin geritten waren, vorbei an einer Rotte Flussfischer, die gleich ihre Krebse und dünnen Fische anboten. Courvenal trieb Tristan und Thomas zur Eile an, die Leute konnten krank sein, nehmt bloß nichts aus ihren Händen, berührt nicht ihre Haut, lasst euch nicht anfassen!
    In solchen Momenten spürte Courvenal, wie schwer es ihm fiel, immer die gleiche Sorgsamkeit gegenüber seinem Zögling an den Tag zu legen. Die Welt, so wie er sie kannte, sollte er ihm zeigen, ihn schulen in allen Künsten, und hatte dafür von Rual, seinem Herrn, genug Münzen bekommen, Urkunden, Empfehlungen, Einlassschreiben und Bürgschaften für Adelshäuser, auf Namen ausgestellt, deren Träger, wie sich bisweilen herausstellte, unterdessen schon gestorben waren. Doch auch deren Nachkommen waren Parmenien wohlgesonnen und brachten Courvenal stets ihr Vertrauen entgegen.
    Er hätte sorglos sein können, beobachtete aber, wie Thomas auf ihren Tagesritten immer öfter zu Tristan aufschloss und ihn mit Worten umschmeichelte. Wie er ihm manchmal während des Reitens die Hand auf die Schulter legte, abends die wollene Decke über ihn breitete und ihre Falten über dem Körper glatt strich. Courvenal hütete sich, dazu einen Kommentar abzugeben oder Thomas zurechtzuweisen. Tristan musste von ganz allein herausbekommen, was er als angenehm und verlockend, als geheuchelt oder abstoßend empfand.
    Es war der letzte Abend auf ihrem Ritt, kurz vor Speyer. Die Stadt konnten sie nicht mehr erreichen, die Nacht brach herein. In der Ferne hatten sie in der Dämmerung die beiden Türme des Doms gesehen, bevor dichtes Blattwerk sie verdeckte. Endlich ein Haus Gottes, dachte Courvenal, das seiner würdig ist und sich überallhin zeigt. Er entschied, dass sie anderntags dort einreiten würden, wie es Kaufleute und kirchliche Gesandte taten. Daher schlugen sie an einer Wegbiegung ihr Lager auf. Thomas war wie immer eifrig zugange, befestigte die Pfosten für das Zelt, Tristan war unzufrieden und schmollte. Er wäre gern noch in derselben Nacht in der Stadt gewesen. Mit ihrem Lager kurz vor dem Ziel wollte er nichts zu tun haben, er ging ungehalten los, um

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