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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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an die engen Straßen dort, an den Gestank und den Platz, auf dem eine riesige Kathedrale gebaut wurde. Alles war voller Staub und Steine gewesen, die von den scalpellini behauen wurden, um sie in eine eckige oder runde Form zu bringen. Er erinnei te sich auch an die vielen Esel, die ungeheure Lasten schleppten oder zogen, und an ein Haus, in dem sie Unterkunft hatten. Es war so groß, dass darin die halbe Burg Conoêl hineingepasst hätte. Im Innenhof befand sich ein Brunnen, aus dem Quellwasser sprudelte, und niemand hatte ihm sagen können, woher dieses Wasser kam.
    Dieser Innenhof war besonders kühl, nur wenige Menschen durften ihn betreten, weshalb Tristan dort gern auf einer steinernen Bank saß und sich in ein Instrument einübte, das er zuvor noch nie in den Händen gehabt hatte. Es bestand aus einem flachen Brett mit einem Hohlraum, bespannt mit vielen Saiten. Er konnte es auf seine Schenkel legen und die Saiten zupfen oder mit einem Bogen über sie streichen, in den Haare einer Pferdemähne gespannt waren. Mit der linken Hand drückte er die Saiten nieder und erzeugte dadurch Töne, die sich aus der Tiefe ihres Klangs in die Höhe ziehen ließen. Er konnte diese Töne auch zu seiner Stimme, die ebenfalls einem verschliffenen Übergang folgte, erzeugen und sie so begleiten - in gleicher Höhe oder auch Tonstufen tiefer. Das Instrument war wie ein zweiter Gesang, den er in sich verspürte, mit dem er im Singen sprach, mit einem anderen in sich selbst, mit »Tan und Tris«, wie er sich nannte, wenn er die Silben seines Namens verkehrte.
    An einem dieser Tage kam unvermutet ein älterer Herr auf ihn zu und setzte sich neben ihn auf die steinerne Bank. »Spiel weiter, sing weiter!«, sagte er auf Lateinisch, und da Tristan gerade dabei war, ein Lied auszuprobieren, ließ er sich nicht aufhalten, sang und übte, wiederholte und erfand neue Verse. »Roma«, sang er, »Stadt der Steine, Stadt des Staubs, in dem sich die Kinder verbergen, die Menschen werden zu Zwergen. Roma, am Tiber, der Fluss durchfließt dich, der Staub ergießt sich in seine Fluten, du musst dich sputen und deine Kinder retten, sonst werden sie Staub in deinen steinernen Stätten.«
    So sang Tristan vor sich hin, den genauen Wortlaut wusste er später nicht mehr. Der Mann neben ihm schien sehr beeindruckt von seinen Worten. Als Tristan geendet hatte, fragte er den Jungen, was er denn damit ausdrücken wolle. Tristan legte das Instrument beiseite und antwortete ganz unbefangen: »Der Staub muss weg.«
    »Und wie?«, fragte der Mann.
    »Ganz einfach. Was herumfliegt, kann man im Wasser binden. Schüttet Wasser über die Steine, die behauen werden.«
    In diesem Moment kam Courvenal über den Innenhof auf sie zugerannt. »Eure Heiligkeit«, rief er schon von Weitem, »das ist Tristan aus Conoêl, mein Zögling. Er ist noch jung.«
    Tristan wunderte sich, als er Courvenal vor dem neben ihm sitzenden Mann niederknien sah. Er küsste ihm sogar die Füße.
    »Ein hübscher Junge«, sagte der Mann und gab Courvenal ein Zeichen, sich zu erheben, »und klug obendrein.«
    »O ja, er spricht viele Sprachen.«
    »Umso besser.« Der Mann, an dem Tristan erst jetzt der goldene Ring an seiner rechten Hand auffiel und der leuchtend rote Stein, der in die Mitte gesetzt war, rief einen Namen. Sogleich kam ein Uniformierter angelaufen. Der alte Mann befahl, einen gewissen Giacomo zu holen, und wandte sich wieder an Courvenal. »Dein Zögling also. Zu welchem Zweck?«
    »Fünf Jahre sind wir jetzt schon unterwegs im Heiligen Reich und werden uns sogar zu den Ungläubigen aufmachen. Der Junge ist der Sohn des Marschalls von Parmenien, einer Grafschaft unweit des bretonischen Landes, und soll die beste Erziehung genießen, damit er …«
    Courvenal wurde unterbrochen, weil der Uniformierte wieder herbeieilte in Begleitung eines Mannes in hellen Beinkleidern, die an den Knöcheln zusammengebunden waren. Seine Jacke wurde von zwei silbernen Fibeln zusammengehalten und auf dem Kopf trug er eine breite, nach vorn und hinten überhängende Kappe, wie sie Tristan zuvor noch nicht gesehen hatte. Schwarzes lockiges Haar quoll darunter hervor, ging über in den dichten Bart, hinter dem ein braun gebranntes Gesicht mit einer breiten Nase, einer starken Stirn und zwei unruhigen Augen hervorsah.
    »Giacomo«, begrüßte ihn der Alte, doch der Mann warf sich ihm gleich zu Füßen und murmelte etwas.
    »Steh auf, steh auf!«, wurde er auf Italienisch aufgefordert. »Der giovanetto

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