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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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ist das Gold?«
    »Es ist der Wert, der gerade gilt. Daher kommt das Wort. Was sagt ihr in Parmenien dafür?«
    Das wusste Tristan nicht. Über Geld hatte er noch nie nachgedacht. Courvenal händigte ihm manchmal, wenn sie in einer Stadt waren, ein paar Münzen aus. Meistens gab sie ihm Tristan, wenn sie weiterreisten, alle wieder zurück, weil er sie nicht gebraucht hatte. Es war für ihn auch ganz selbstverständlich, dass Philippe, als er Tristan die Stadt zeigte und sie irgendwo an einem der Stände am Wegrand etwas zu sich nahmen, die Frau bezahlte, die das Essen ausgab. Courvenal sprach nie über Geld. Nicht ein einziges Mal hatte Tristan mitangesehen, dass er den Mönchen, bei denen sie oft viele Wochen lebten, etwas gegeben hätte. Die Ordnung, in der er aufwuchs und in der er auf ihren Reisen lebte, war die der gläubigen Gastfreundschaft. Ab und an, wenn er sichtlich aus seinen alten Kleidern herausgewachsen war oder die Sandalen ausgetreten und zerschlissen an seinem Lager standen, gab es am nächsten Morgen wie vom Himmel gefallen neue. Danach gefragt, wo sie herkamen, hatte Tristan nie. Die Beinkleider, das Hemd und das Wams, das er seit Neuestem trug, wenn er zu Philippe ging, waren sicher auch von Courvenal bezahlt worden, denn er hatte sie ja zum Kloster schicken lassen. Er dachte auch deswegen nicht darüber nach, weil er sich in diesen Kleidern viel wohler fühlte als in dem Mönchsrock. So war er auch Philippe ähnlicher, der begann, den Jungen zu seinen Verleihgeschäften mitzunehmen.
    Tristan übernachtete oft in dem steinernen Haus, manchmal saß er bis spät in die Nacht über Don Philippes Schriften oder den Kopien der Rechtsurteile, die er gesammelt hatte. Geld, Besitz, Zeit und Tod - diese Wörter lernte er dadurch von ihrer finsteren Seite her kennen, wie er sie zuvor nicht an ihnen vermutet hätte. In der Verleihstube Philippes glitten durch seine Finger Münzen fremdländischer Prägung und verschiedensten Gewichts, sie kamen von überall her. Einmal sah er sogar Münzen aus Indien, ohne sich vorstellen zu können, wo dieses Land war. Ab und zu schob ihm Philippe auch Verträge zu, die er kopieren musste. Da ging es um die Aufteilung eines Erbes oder den Anspruch darauf, über den gestritten wurde. Wenn in den Rechtsschriften, die er las, die Wörter »Kerker«, »Turm« oder »Verlies« auftauchten, wusste er gleich, dass es um die Zeit ging, die jemand in Unfreiheit verbringen musste. Und der Tod - das bedeutete den Urkunden zufolge meist eine Hinrichtung. Nie hätte sich Tristan vorstellen können, wie viele Arten des Todes es gab, die Verurteilte hinnehmen mussten. Zerstückelt wurden sie, gerädert, enthauptet, erhängt, verbrannt bei lebendigem Leibe. Man ließ sie aber auch verhungern und verdursten, von Pferden schleifen, stach ihnen die Augen aus oder schnitt ihnen die Zunge aus dem Hals. Als er davon in einer Schilderung las, nach der einem Bauer, der seinen Herrn bezichtigt hatte, ihm nicht nur seinen Anteil, sondern auch seine Frau und die zwölfjährige Tochter genommen zu haben, die Zunge abgeschnitten worden war, musste er an Elbeth denken. Bis zu diesem Tage wusste er noch immer nicht, warum und wofür man sie bestraft hatte. Er ahnte nur, dass es etwas mit ihm zu tun gehabt haben musste.
    An dem Abend der Erinnerung an Elbeth ging er ins Kloster zurück. Im Hof bemerkte er Courvenal. Er wollte schon zu ihm hinlaufen, als er die heftigen Armbewegungen des Mönchs sah und ahnte, dass er sich mit dem Prior, bei dem er stand, zu streiten schien. Tristan hörte laute Worte, verstand den von Courvenal heftig hervorgestoßenen Satz »Unser Herz kann sich nicht verkleiden«, wusste nichts damit anzufangen und verdrückte sich rasch in seine Zelle.
    Am nächsten Morgen sagte ihm Courvenal nach dem Gebet: »Gestern, spät noch, war ich bei Don Philippe gewesen. Er hat mir eine copia seines Werkes anvertraut und sagte, sie sei auch für dich. Du musst dich übrigens bald von deinem neuen Freund Philippe verabschieden. Denn wir ziehen in einigen Tagen weiter. Und ich werde für eine gewisse Zeit nicht mehr der sein, der ich einmal war.«
    Courvenal war nach dieser Äußerung sogleich weggegangen und hatte Tristan einfach stehen lassen. Der Junge wusste nicht, was er tun und glauben sollte. Er rannte zu Don Philippe, erzählte ihm davon, bekam aber nur ein Achselzucken als Reaktion. Als er am Abend in seine Zelle zurückkehrte, waren alle seine Pilgerkleider verschwunden. Auf dem Bett

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