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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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können, in einem einzigen Buch zu versammeln. Bei den Deutschen gibt es schon so etwas, jemand, der Eike heißt, hat es geschrieben nach Urteilen und dem, was in der Bibel steht oder Gewohnheit ist. Es stellt aber nur Regeln auf, was man darf und nicht darf, weil es schon immer so war. Ich hingegen möchte alle bösen Handlungen beschreiben. Nur wer sie nicht begeht, ist ein guter Mensch. Wer sie gleichwohl vollführt, kann bestraft werden von denen, die gut sind.«
    Tristan wollte wissen, welche bösen Handlungen es gebe.
    »Da gibt es allem voran das Morden, wenn jemand aus Habsucht, aus Niedertracht oder Rache einen anderen ersticht oder vergiftet. Doch da muss man unterscheiden, ob er diesen Mord geplant hat, willentlich ausführte oder dazu gereizt wurde. Töten kann auch im bloßen Faustkampf geschehen, wenn jemand gar nicht töten wollte. Ein anderer kann bei einem Streit unglücklich fallen und sich dabei den Hals brechen. Ein Dritter tötet einen anderen, um sein eigenes Leben zu verteidigen. Und ein weiterer kommt zu Tode bei einer Bootsfahrt, weil das Schiff in einem schlechten Zustand war und gar nicht hätte hinausdürfen aufs Meer. Hunderte und Tausende solcher Möglichkeiten gibt es, durch die Menschen unglücklich oder durch den Vorsatz eines anderen sterben können. Das Buch dort mit dem grünen Ledereinband, schlag es auf!«
    Tristan zog das Buch, das auf einem ganzen Haufen von Büchern lag, zu sich heran. Von der ersten Seite an waren die Sätze und Abschnitte darin nummeriert und jede Nummer mit einem Zeichen versehen, das Don Philippe eigens dafür erfunden hatte: zwei ineinander verschlungene »S«.
    »Das ist ein paragraphos«, sagte er, »wie die Griechen ihn hatten. Durch Zeichen - bei ihnen war es das tau, das >x<, bei mir stammt es aus dem Gotischen entsteht ein System. Wenn ich zum Beispiel ein § dafür habe, dass ein Mann einen anderen mit dessen Frau betrügt, dann kann er dies tun, weil er es darauf abgesehen hat, diese Frau zu besitzen. Es kann aber auch sein - dann gibt es zwei dieser § -, dass er zu viel Wein getrunken hat und seiner Sinne nicht mehr Herr war. Andererseits - drei § - könnte der Mann von niederer Herkunft sein und Gewalt anwenden. Oder er wurde dazu gezwungen, die Frau zu entführen im Auftrag seines Herrn. Vielleicht wusste er auch nicht, dass die Frau schon einem Herrn gehörte, oder die Frau hat selbst dazu beigetragen, dass er sie verführte, weil sie es so wollte. Auch in der Liebe, der Ehe, der Eifersucht, im animalischen Verlangen, bei Habsucht und Rache zwischen Mann und Frau gibt es eine große Anzahl von Möglichkeiten, wie wir uns verhalten - also sagen wir: drei Dutzend §. Und es gibt Mischungen aus den Verhaltensweisen und Wünschen oder Anlässen, und dann kann ich - etwa wie hier«, Philippe fuhr mit dem Finger über ein Blatt, das Tristan gerade gewendet hatte, »nur durch das Doppel-§-Zeichen und die dahinterstehende Zahl darauf verweisen, dass es eine ähnliche Situation gibt, die man bei der Beurteilung dessen, was geschehen ist, mit berücksichtigen muss.«
    Tristan blickte, fasziniert von den Worten seines neuen Freundes, auf die Buchseiten und begann zu begreifen, welch kompliziertes Werk er im Begriff war zu schaffen. Ein Buch oder viele Bücher, in denen alle möglichen Handlungen der Menschen enthalten waren, die von ihrem gewöhnlichen unschuldigen Leben abwichen, dem Schlafen, Träumen, Essen, Sichbewegen, Arbeiten, Lieben, Beten, Singen und Sterben, wie es die Natur und Gott geschaffen hatte.
    »Doch damit, mit diesen Büchern«, sagte Philippe und nahm das große Foliobuch unter den Augen Tristans beiseite, »verdiene ich nicht mein Leben. Ein Buch, das für alle Menschen auf dieser Erde gilt, müsste behaupten, dass alle Menschen gleich sind, der Papst und der König, der Bauer und der Bettler. Aber nicht einmal der Bettler würde sagen, dass er dem Papst gleich ist, oder der Bauer, er sei ein König. So kann man nur denken, wenn wir lediglich das Wasser in unseren Bechern sehen würden. Wir aber sehen das Wasser und den Becher. Den einen ist er nur die hohle Hand, den anderen aus Holz und den dritten aus Silber oder Gold.«
    »Wie verdienst du dann dein Leben?«, fragte Tristan.
    »Die Fürsten bezahlen mich, wenn ich ihnen Rat erteile und sie durch meine Hilfe zu Geld oder Besitz kommen. Ich wiederum nehme das Geld, leihe es anderen und nehme dafür den Zins. Davon lebe ich, und die zu mir kommen, leben auch davon.«
    »Geld -

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