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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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gelegen war. Der Priester blieb bei seiner Unterwürfigkeit und führte sie zum Wohnhaus, in dem Courvenal und Tristan ein prächtiges Gemach zugewiesen bekamen mit zwei Lagern, die man durch Vorhänge abdunkeln konnte. An einer der Wände war eine Kochstelle eingerichtet. Tatsächlich glühte dort Holzkohle unter einem darüberhängenden Topf, aus dem es nach Huhn und Brühe duftete. Kaum hatten sie ihre Taschen ausgepackt, erschienen zwei Mägde, stellten Schalen auf den Tisch, legten frisches Brot daneben und auf ein Holzbrett streng riechenden Käse. In zwei gläsernen Karaffen schimmerte Rotwein.
    Courvenal lachte das Herz, als er schmunzelnd mit ansah, wie sich um sie herum eine Kulisse aufbaute, die sie lange nicht genossen hatten. Fast wünschte er sich, in seine alte Mönchskutte schlüpfen zu können, um der Anrede »Eminenz« würdig zu sein. Nach dem vieltägigen Ritt freute er sich auf ein Bad, um den Staub aus den Poren zu waschen. Die Mägde, die wie flinke Tierchen zwischen Tisch und Feuerstelle umherliefen, hatten den Nacken frei und die Schultern entblößt. Sie trugen leichte Stoffe, die mit bunten Bändern unterm Busen zusammengerafft waren, sodass es den Mann in der Lende jucken musste. Gleich nahm Courvenal einen kräftigen Schluck Wein und goss Tristan auch eine Pfütze davon ins Glas, das in einem Gestell aus Kupferdraht steckte. Überschwänglich stieß er mit seinem gegen das Trinkglas des Jungen, wünschte ihm Glück und sah ihm dabei zum ersten Mal an diesem Tag in die Augen. Da bemerkte er, dass Tristan die seinen kaum mehr offen halten konnte. Mit seltsam verschleiertem Blick schaute er auf Courvenal, seinen Lehrer, den er anscheinend nicht mehr so recht wiedererkannte.
    »Mein Gott, du bist müde!«, sagte Courvenal voller Mitgefühl. »Wie muss dich das alles erschöpfen. Iss etwas und leg dich zu Bett.«
    Tristan sagte kein Wort, aß, trank einen Schluck, gähnte und rutschte von seinem Hocker. Er schwankte zu seinem Lager, streifte sich die Schuhe von den Füßen, Hemd und Beinkleider vom Körper, ließ alles auf den Boden fallen und wickelte sich in die Laken, ohne auch nur die Kraft aufzubringen, die Vorhänge zuzuziehen. Das tat Courvenal wenig später für ihn. Er löschte auch die Kerzen bis auf eine, die auf dem Tisch stehen blieb.
    Es war Nacht geworden. Courvenal fühlte sich aber so wach, als wäre er gerade erst aufgestanden. »Ein neues Leben«, murmelte er, goss sich ein wenig Wein nach und holte seit Langem das erste Mal wieder sein Narratio-Buch aus dem Tornister. Er spitzte die Feder, tauchte sie in die Tinte und begann, bevor er sie auf das Papyrus setzte, darüber nachzudenken, was er aufzuschreiben hatte. Es war so viel Zeit vergangen, doch das Zurückliegende stand ihm gleichwohl nah vor Augen, und er sah es wie Bilder, die sich übereinanderschoben. Womit sollte er beginnen? Mit dem, was in der letzten Zeit geschehen war, oder mit dem Wichtigen, das für ihn und Tristan über die Zeit hinaus Geltung haben würde - wie der Brand in Don Philippes steinernem Haus. Nach kurzem Zögern entschied sich Courvenal für das Wichtige. Die Zeit ließe sich später ordnen. Sie war wie ein Band, das sich rückwärts aufrollen ließ.
     
    Süße Fladen ~148~ Hahnenkampf
     
    Seine Müdigkeit, die ihn am Abend zuvor plötzlich so sehr übermannt hatte, dass er Courvenals Worten nicht mehr folgen konnte, wusste sich Tristan am anderen Morgen nicht zu erklären. Der lange Tagesritt konnte es nicht gewesen sein, auch nicht die sengende Sonne - daran war er längst gewöhnt. Es war ihm aber schon schwindlig, als sie in die Burg einritten. Das mächtige, eisenbeschlagene Tor, der Weg zum Marktplatz, die Buden und Hütten und steinernen Gebäude, das alles - so fremdartig die Menschen ihm auch erschienen -, das alles erinnerte ihn an etwas von lange her Vertrautes. Ein Gefühl überkam ihn wie einen Träumer, dass er an diesem Ort schon einmal gewesen sein musste, obwohl das nicht möglich sein konnte. Dieses Gegeneinander von Wissen und Empfinden hatte ihm alle Kraft geraubt. Als wäre er betäubt, war er Courvenal gefolgt, hatte er die Gespräche seines Lehrers mit einem Priester mitangehört, sah er noch immer die Mägde vor sich, die ihnen ins Gemach das Essen so leise gebracht hatten, als wären sie über dem Boden geschwebt.
    Als Tristan am Morgen erwachte, fühlte er sich zwar ausgeschlafen, hing aber noch eine Weile seinen Gedanken nach. Courvenal räumte gerade sein

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