Tristan
hob er den Kopf und wandte sich um. Nahe des Eingangs zur Kapelle sah er Männer, die sich lärmend in einem Kreis zusammenhockten. Staub wirbelte in den Lichtbahnen, die von den Fenstern einfielen. Neben dem Geschrei der Männer war das Kreischen und Zetern von Vögeln zu hören, wie es entstand, wenn man Hühner an den Füßen oder den Flügeln festhielt. Nun sah er auch, wie immer wieder über die mit Turbanen umwickelten Köpfe der Männer und zwischen ihren erhobenen Armen zwei Hähne flatternd und kreischend aufeinander zustürmten. Da er nicht verstand, was dies alles zu bedeuten hatte, näherte er sich leise dem Kreis der Hockenden und suchte Deckung entlang der Kirchenmauer. Die Leute feuerten die beiden Hähne an, die mit ihren Schnäbeln aufeinander einhackten. Ihre Kämme und Kinnlappen leuchteten im Sonnenlicht, ihre Schwanzfedern schimmerten in allen Farben.
Tristan schlich sich noch näher heran, beugte sich zu Boden und kroch auf allen vieren. Immer mehr Staub wirbelte auf. Je wütender die Vögel wurden und über dem Boden tanzten, umso lauter wurde auch das Geschrei der Männer. Da erst sah er, dass über die Köpfe der Tiere Kapuzen gestreift waren, wie man es bei Falken tat, bevor man sie zum Jagen freiließ. An ihren Füßen hafteten eiserne Beschläge, künstliche Krallen, wie Messer geschliffen, scharf und spitz jede Bewegung reflektierend. Die johlenden Männer waren dunkelhäutig, ausgemergelte Gestalten, an ihren Hälsen verliefen die Sehnen und Adern wie gedrehte Schnüre unter der Haut. Um die Hüften hatten sie Tücher geschlungen und verknotet, ihre Oberkörper waren nackt, und die Schulterknochen und das Gerippe bildeten sich unter der Haut ab wie Baumwurzeln, die aus der Erde heraustraten.
Die beiden Kampfhähne stürzten unablässig aufeinander los und versuchten, sich gegenseitig so viele Wunden wie möglich beizubringen. Mit weit aufgerissenen Augen verfolgte Tristan, wie einer der Hähne mit rotbraunen Schwanzfedern immer mehr die Oberhand in diesem Kampf gewann und dem anderen eine Verletzung nach der anderen zufügte, sodass bald der ganze Boden mit Blut besudelt war. Der unterliegende Hahn begann zu taumeln, was lächerlich aussah, und konnte sich immer weniger zur Wehr setzen. Sein Gegner nutzte die Schwäche aus und hieb auf ihn ein: Er pickte mit dem scharfen Schnabel in seinen Kopf, schlug die eisernen Krallen durch das blutverklebte Gefieder in den Hals und trat zum Schluss auf seinem am Boden liegenden Opfer herum, als wäre das Blut, das aus seinen vielfachen Wunden trat, der Beweis für die eigene Stärke.
Dabei schrien die Männer und stritten sich, als wären sie selbst zu Kampfhähnen geworden. Münzen flogen in den Kreis, ein kleiner Junge sammelte sie geschwind auf, übergab sie jemandem, doch der Streit ging weiter. Tristan verstand die Worte nicht, und niemand beachtete ihn. Jemand hob den Siegerhahn vom Boden, stopfte ihn in einen Sack, weil er immer noch wütend um sich pickte, während ein anderer der Männer das unterlegene, ausgeblutete Tier an den Füßen ergriff und schnell fortging, wobei ihn verächtlich klingende Worte begleiteten.
Augenblicke später war Tristan wieder ganz allein in der Kirche. Auf dem Boden blieben ausgerissene, geknickte Federn zurück und eine dunkelrote Lache. In der Luft stand der aufgewirbelte Staub, und in Tristans Ohren war eine Stille, als hätte er sein Gehör verloren.
Betäubende Bilder ~149~ Thomas Gesicht
Das Gefühl, bei Kräften und doch wie betäubt zu sein, ließ lange nicht ab von Tristan, als er die Kirche verlassen hatte. Dass zwei Hähne sich niedermetzelten bis auf die Haut unter dem Gefieder, das hatte er noch nie gesehen. Und wenn er selbst auf Conoêl einen Hasen mit dem Pfeil getroffen hatte, dann doch nur, um anderen damit etwas Gutes zu tun. Räuber und Diebe kamen ihm in den Sinn, die Menschen abschlachteten, um sich deren Hab und Gut zu nehmen. Rual, sein Vater, zog immer wieder aus, um Plünderern das Handwerk zu legen. Aber diese Diebe und verwerflichen Menschen voller Habgier mussten töten, um zu bekommen, was sie haben wollten. Was hingegen wollte ein Hahn, der einen anderen zerfleischte? Was hatte er davon? Weggetragen wurde der Sieger in einem Sack, damit er die Welt nicht sah, in der er lebte. Hatte er dafür gekämpft?
Für die Männer war es ein Vergnügen, so viel verstand Tristan. Die beiden Parteien, die sich in zwei Halbkreise aufgeteilt hatten, feuerten jeweils ihren Hahn an.
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