Tristan
Sklave Enrique ~153~ Der Garten
Mitten in der Nacht wachte er auf. Ein einzelnes Öllämpchen brannte, das er sich vom Sims über der großen Truhe holte. Mit dem Licht schlich er zu Courvenals Lager und fand es leer. Ihm fiel der Brief ein und mit dem Brief Nella, und damit der Abschied von Thomas. Danach erst erinnerte er sich an die Begegnung mit Almendra, an die Berührung und daran, dass etwas geschehen war.
Obwohl er den Tag über kaum etwas gegessen hatte, verspürte er keinen Hunger, nur Durst. Auf dem Tisch stand ein Krug mit Wasser. Er setzte ihn an den Mund und trank ihn aus. Als er wieder auf seinem Bett lag, hörte er es in seinem Bauch gurgeln, aber er wagte nicht, seine Hände darauf zu legen. Mit seinem Körper wollte er jetzt nichts zu tun haben. Er wollte schlafen.
Die Mägde weckten ihn, nun alle drei. Tristan wusch sich und verlangte neue Kleider, die ihm gleich gebracht wurden. Die er getragen hatte, sogar in der Nacht, ließ er einfach auf den Boden fallen, wie es Courvenal bisweilen tat, wenn er spätabends in die Kemenate kam und zu viel vom Wein getrunken hatte.
Während er aß, redeten die Mägde leise miteinander, wie sie es immer taten, manchmal lachten sie, als würden sie sich dabei ein Tuch vor den Mund halten. Mit einem Seitenblick nahm Tristan wahr, dass seine Kleider vom Boden verschwunden waren. Wenn er den Kopf ein wenig hob, blendete ihn das Licht des Morgens. Dann sah er auf die Maserung der Tischplatte und folgte dort mit den Augen den Linien, den Astlöchern und den Einkerbungen, die von Dolchen und Messern von all den vielen Gästen stammten, die hier schon wie er gesessen haben mochten.
Es dauerte eine Weile, bis er merkte, dass die Mägde den Raum verlassen hatten. Vorsichtig hob er den Kopf auf und blickte sich um. Da wurde die Tür geöffnet. Ein paar Knechte trugen Courvenals und seine Pack- und Reisetaschen herein, verschwanden wieder, und ein junger Spanier erschien, der sich mit »Enrique, Euer getreuer Diener« vorstellte. Sogleich begann er davon zu reden, welche Aufgaben ihm »der Meister«, wie er Courvenal nannte, zugeteilt hatte, und machte sich - unaufhörlich redend - daran, die Taschen auszupacken und alles, was daraus hervorkam, auf dem Boden nebeneinander auszubreiten. Währenddessen benannte er all die Dinge bei ihrem Namen, als würde er Listen erstellen.
Tristan hörte ihm sprachlos zu und verfolgte, mit welcher Geschicklichkeit Enrique die Sachen neu ordnete und jeweils in die Nähe von vier Säcken legte. Der Knecht trug einen dichten Bart und mochte um einiges älter sein als er, bewegte sich aber geschmeidig wie eine Katze. »Der Meister hat mir alles genau erklärt«, sagte er, streifte Tristan ab und zu mit seinem unruhigen Blick, aber ohne ihn dabei in sein Tun einzubeziehen.»… alles genau erklärt, was wir mitnehmen, was hierbleibt. Vier Taschen, mehr nicht, hat er gesagt. Nur das Wichtigste, was nicht immer das Wertvollste ist, hat er gesagt. Seine Bücher und Hefte, seine >Gedankenscherben<, wie er sie nennt, die ich noch in Wachstuch einschlagen und versiegeln muss. Wasserdicht. Wir werden also auf ein Schiff gehen, das ist sicher. Davor habe ich nicht wenig Angst, denn ich habe das Meer noch nie gesehen. - Und hier sind die Sachen von Euch, mein Herr« - wieder ein kurzer Blick zu Tristan -, »Eure Andenken: das Schachspiel aus Verona, das Ihr dem Araber abgewonnen habt, der Gürtel aus Vendig, die Schnalle aus der Abtei -, jetzt habe ich den Namen vergessen, das Glas aus Colonia, die Brosche für Eure Mutter und dieser wunderschöne Wappenkasten - auch ein Geschenk …« Enrique sortierte die Dinge und redete dabei vor sich hin.
Tristan erschrak. Wer hatte dem Knecht von all diesen Gegenständen, ihrer Herkunft und ihrer Bestimmung erzählt? Courvenal? Nicht ein einziges Mal hatte Tristan den Spanier in dessen Nähe gesehen. Er selbst konnte sich manchmal nicht an die Dinge erinnern, die er etwa für seine Brüder erstanden hatte, das kleine bronzene Pferd für Edwin, die Würfel aus dunklem Horn mit den weißen Augen für Ludvik, die Gürteltasche für Linnehard und den prächtigen persischen Dolch für Rual, seinen Vater. Woher kannte dieser Mann all die Namen und sogar solche, die Tristan bereits vergessen hatte?
Mit den Namen tauchte eine vergessene Welt vor seinen Augen auf, er glaubte zu träumen. Zugleich war er unfähig, auch nur ein einziges Wort, eine Frage an Enrique zu richten. Er saß immer noch am Tisch, als
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