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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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hätte man ihn auf seinem Stuhl festgebunden, und verfolgte, wie der Knecht die Dinge ordnete und jeweils in einer der vier Taschen verschwinden ließ. Anderes hingegen sortierte er aus, warf die Pferdedecke, die Armbrust, die arabische Reitgerte auf einen Haufen zu den Sachen, die in der Burg bei Don Hermano bleiben sollten. Nicht einmal dagegen konnte sich Tristan auflehnen.
    Aber er war schließlich doch irgendwann von seinem Platz aufgestanden und schaute weiter dem Treiben zu, bis der Knecht aus einem der Säcke die goldene Kugel hervorholte. Er hielt sie einen Augenblick in der offenen Hand. Dann sagte er: »Was ist das? Davon hat mir der Meister nichts erzählt. Ist das Gold? Schwer genug wäre sie. Oder ist das eine Täuschung? Schön genug wäre sie dafür ebenfalls. Was soll ich damit machen? Herr, das müsst Ihr entscheiden. Aber denkt bitte nicht allzu lange darüber nach, wie es der Meister manchmal getan hat, als wir eine Probe machten. Ein ganzer Tag verging darüber, dass er grübelte, ob der Edelstein an einem Ring wertvoller sei als der Finger, der ihn einst tragen wird - wenn es diesen Finger überhaupt gibt!« Enrique lachte kurz auf und fuhr mit ernster Miene fort: »Wo also, mein junger Herr, soll dieses Spielzeug hin, in welche Tasche?«
    »Gib her!«
    Diese zwei Worte waren die ersten, die Tristan seit der langen Zeit des Zuschauens aus sich herausbrachte.
    »Comme vous desirez«, sagte der Spanier mit einem Achselzucken, stand auf, näherte sich Tristan und ließ die Kugel aus seiner in dessen Hände rollen. »Man müsste sie einmal gründlich waschen«, sagte er dabei und kniete schon wieder auf dem Boden, um einen Stapel von Büchern durchzusehen. »Die mit den bunten Bildern, die nehmen wir mit«, murmelte er, »aber irgendwo soll eins sein, hat der Meister gesagt, da ist nur Schrift drin und vor jeder Zeile so ein komisches Zeichen, wie zwei Lämmerschwänze, die sich ineinanderkringeln - das sei ihm besonders wichtig. Wisst Ihr vielleicht, Herr, welches librum er damit meinte?«
    Tristan hörte nicht zu. Er hielt die Kugel in seiner Hand, Wehmut durchströmte ihn und zugleich Verwunderung. Die Kugel war viel kleiner, als er sie in Erinnerung hatte. Es ist nicht die Kugel, dachte er, meine Hand ist gewachsen! Darüber erstaunte er und wünschte, sich in einem blanken Metall zu sehen. In einer der Kemenaten, das wusste er, hatte Don Hermano solch ein geputztes, blankes Oval aus Bronze, in dem man sich spiegeln konnte. Courvenal hatte ihm davon erzählt. Indem Tristan daran dachte, umschloss seine Hand fest die Kugel, und sie schien ihn mit sich fortzuziehen. Er stieg über die auf dem Boden aufgeschichteten Dinge hinweg, ließ den ständig vor sich hin redenden Enrique allein, trat durch die Tür auf den Flur, lief durch einen weiteren, den er noch nie betreten hatte, und wurde von der Kugel, so war ihm, vor einem Portal aufgehalten, in dessen stützende Säulen Schnitzereien eingefügt waren. Deutlich waren Figuren zu erkennen, die nach oben strebten, zum Abschluss dieser Tür hin, in dem sich die Kronen zweier Bäume mit ihren Ästen und Blättern ineinander verschlang en.
    Zwei Ölbäume, dachte Tristan, als seine Hand, in der er die Kugel hielt, gegen die Tür drückte. Sie öffnete sich. Gegen seine Erwartung trat er aber nicht in ein Zimmer, sondern auf eine Terrasse, die in einen Garten auslief, in dem fremdartige Bäume und Pflanzen wuchsen. Alles war von üppigem Grün und voller Blüten, Schmetterlinge flatterten vor seinen Augen und so eilig über seinen Kopf hinweg, dass er aus Angst, sie könnten dieses Paradies verlassen, die Tür gleich wieder hinter sich schloss. Der Mund stand ihm offen, als er in Käfigen Vögel hocken sah, deren Gefieder so bunt waren wie die Farben des Regenbogens. Ein Weg führte durch die Pflanzen hindurch und an Blütendolden vorbei, die Mündern glichen. Neben dem schmalen Pfad rann Wasser in kleinen Bachläufen, plätscherte unter winzigen Brücken unter seinen Füßen hindurch, ohne sie zu benetzen, Wasserfälle entstanden, wo sich der Weg neigte, Wasserfälle für Zwerge oder Erdwesen.
    Da wurde die Kugel in seiner Hand plötzlich schwer wie ein Felsbrocken und riss sie dem Boden entgegen. Um nicht mit den Knöcheln der Faust auf Steinen aufzustoßen, musste Tristan dem Gewicht nach unten nachgeben und sank auf die Knie. Wie aber die Kugel seine Hand so fest gegen den Boden drückte, dass sie wie angeheftet schien, konnte er zwar die Faust

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