Tristan
sich nahm und wo er als Kind geschlafen hatte. Zum Glück traf er dort niemanden an als Florätes Magd, die heißes Wasser machte für einen Nesseltee, nach dem seine Mutter verlangt hatte. Da fiel sein Blick auf die Wand, an der vormals sein Lager gestanden hatte, und er erinnerte sich daran, dass er dort hinter einem kaschierten Stein die goldene Kugel versteckt hielt, als sie Rual ihm einst anvertraut hatte. Bilder tauchten in ihm auf von den Rittern Morgans, die gekommen waren, um Korn und Vieh, Flachs und Öl zu fordern, riesige Männer, denen er die goldene Kugel als Entgelt entgegengehalten hatte, so schien es ihm jetzt. Sie waren aus der Burg geritten, als hätte sie etwas dazu gezwungen.
So weit lag das alles für Tristan zurück, dass er einen Moment lang glaubte, diese Mär erzählt bekommen zu haben. Doch seine Augen richteten sich genau auf die Stelle in der Mauer, wo er die Kugel einst versteckt hatte. Dorthin ging er, setzte Schritt vor Schritt, ohne genau zu wissen, was er tat, griff mit der Hand an das Holzbrettchen, das er wie einen Mauerstein angemalt hatte, und zog es heraus. Und dort lag sie, eingewickelt in einen bunten Lappen, wie ihn die Mauren zum Putzen von Bronze verwendeten. Da er noch hinter sich gehört hatte, wie die Magd den Raum verließ, und den Duft des heißen Wassers roch, mit dem sie die Brennnesseln aufgebrüht hatte, schlug er den Stoff von der Kugel und hielt sie in seiner bloßen Hand. Ein Leuchten ging von ihr aus, dass er die Augen zusammenkneifen musste.
Eilig wickelte er die Kugel wieder in den Lappen und rannte zu seines Vaters Gemach, trat dort ein, ohne zu klopfen, hörte Plätschern, ging in den Raum und sah, wie sich der Marschall gerade einen Eimer Wasser über den Rücken goss. Er sah - wie schon einmal - seinen Vater nackt, doch sein Vater sah nicht seinen Sohn. Rual summte etwas vor sich hin, wie es Courvenal auch manchmal getan hatte, wenn er sich »badete«, wie er die gänzliche Körperreinigung nannte. Doch da waren sie meist mitten in der Natur gewesen, in der Landschaft zwischen Felsen und Wiesen an irgendeiner Quelle oder bei einem Bach. Weil er nun diese Bilder vor sich sah, wie sie aus seiner Erinnerung auftauchten und sich vermischten mit dem, was er nun vor Augen hatte, einen geschwächten Körper, der sonst von üppiger Kleidung, von Hemd und Wams, von Leder und metallenen Maschen verborgen war, legte er die Kugel einfach nur auf einen Tisch, behielt das Tuch, in das sie eingewickelt war, und schlich sich wieder davon.
Draußen, im Flur, drückte er sich heftig atmend für eine Weile mit dem Rücken an die Wand. Kein Wachsoldat war zu sehen. In der rechten Hand hielt er den Lappen. Tristan spürte, dass das Tuch noch immer gefüllt zu sein schien, als wäre die Kugel nach wie vor darin eingewickelt. Es war ihm unmöglich, die Hand zur Faust zu schließen, obwohl seine Finger doch nur das Tuch hielten! Er konnte die Hand aber auch nicht öffnen, sie gehorchte nicht seinem Willen. Da versuchte er, das Tuch mit der anderen Hand wegzuziehen - auch das misslang. Verzweifelt lief er zurück in die Kemenate, atmete den herben Geruch der Brennnessel ein, löste den Stein aus der Mauer, und erst, als er das Tuch darin verbergen wollte, löste es sich aus der Umklammerung seiner Finger und legte sich wie von selbst in die dunkle Nische.
Tristan atmete auf, setzte den Stein wieder ein und wischte sogar noch mit der flachen Hand darüber, als würde er dadurch die Mauer glätten können. Dies alles geschah nicht mit Absicht, sondern in einem Zustand staunender Verwunderung.
»Wollt Ihr etwas von dem Tee?«, hörte er plötzlich Merlas Stimme. Die Magd war neben ihn getreten, ohne dass er es gemerkt hatte. Sie hielt einen Becher in der Hand, den sie ihm reichte. Er sah in ihr ruhiges, anmutiges Gesicht. Über den Haaren trug sie ein Tuch, dessen Zipfel auf ihren Schultern lagen. Einen Augenaufschlag lang begegneten sich ihre Blicke, und Tristan fühlte sich nach Toledo zurückversetzt, zurück in der Kammer, auf dem Lager, gefangen … »Mein Herr, was ist Euch?«, hörte er noch. Dann schwanden ihm die Sinne.
Matter Glanz ~ 164 ~ Nasse Schrift
Rual hatte gerade voller Freude die goldene Kugel auf seinem Tisch entdeckt. Er wunderte sich darüber, dass die Oberfläche so matt war. Man muss sie polieren, dachte er. Da rief man laut nach ihm und nach Courvenal. Die Stimmen kamen vom Flur her.
Bei Tristan, neben dem Merla kniete, fand er sich mit
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