Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
Vom Netzwerk:
Scharnierhaken, der nur mit Gewalt wieder zu öffnen wäre, und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
    Es war kalter Schweiß, der auf seinem Handrücken glitzerte. Vergeblich versuchte er, ihn abzuwischen oder zu trocknen. Dabei bemerkte er, dass die Haut seiner Hand faltig geworden war, er sah die Adern darunterliegen wie Wurzeln eines Baumes unter einer dünnen Schicht Erde. Zeichen sind das, dachte er, Zeichen, die nichts Gutes zu bedeuten haben. Mit demselben Gedanken schwor er sich, niemandem davon zu erzählen. Nicht einmal Floräte sollte etwas davon erfahren.
     
    Der Hafen ~165~ Phantasia
     
    Tristan befürwortete sehr, dass Courvenal die Neuordnung der Bibliothek und Registratur der Schriften auf die Wintermonate verschieben wollte. So blieb ihm mehr Zeit, sich dem Leben außerhalb der Burg zu widmen. Nachdem er einmal dort gewesen war, hatte es ihm besonders der Hafen von Conoêl angetan. Dort liefen Schiffe aus der ganzen Welt ein. Alles, was er in den Jahren zuvor aufgesucht hatte, kam nun zu Besuch zu ihm. Er vernahm die Sprachen der Seeleute aus fernen Ländern und konnte sie verstehen. Wenn er sie nicht gleich zuordnen konnte, machte er sich schnell die Bedeutung fremder Worte zu eigen, gebrauchte sie und konnte sich so weiterhelfen. Am Hafen zu sitzen, in den Unterständen mit den Männern zu reden, die mit ihrer Ware bis weit in den Süden oder in den Norden wollten, Geschichten zu hören, die auf hoher See oder in südlichen Ländern geschehen waren - das wurde zu seinem liebsten Zeitvertreib. Wozu sollte er Turniere gewinnen und Reiter mit der Lanze von ihrem Pferd stoßen, wenn es doch um vieles schöner war, im Land der phantasia umherzuschweifen, an Gewürzen zu riechen, die in sonniger Luft getrocknet worden waren, oder Stoffe durch die Finger gleiten zu lassen, die einst schöne Frauen bekleiden sollten, die er nie kennenlernen würde, aber jetzt schon im Stillen bewunderte.
    Wurden dann noch durch ausgeschenkten Wein, durch Speisen, die er auf der Reise kennengelernt hatte, sein Geschmack und seine Sinne in andere Welten zurückversetzt, ritt er manchmal auf dem Heimweg zur Burg Courvenal, seinem Begleiter, in schnellem Galopp davon, nicht um ihm zu entkommen, sondern um so schnell wie möglich in seiner Kemenate zu sein, sich dort aufs Lager zu werfen und seine Einbildungen wie ein Echo seiner Sehnsucht zu genießen. Er wickelte sich in seine Decken und Felle ein, schloss die Augen und glaubte, je fester er sie geschlossen hielt, in seinen Ohren das Meer rauschen zu hören. Das Meer versprach die Ferne, das Meer war die Neugier, jede Welle brachte ein Boot voller Verheißungen an Land, das Meer war wie ein wehendes Tuch, das sich über ihn legte, seinen verschwitzten Körper berührte, seine Lippen - da richtete er sich auf. Er verbot sich diesen allerköstlichsten seiner Gedanken, die Erinnerung an den Nachmittag in Toledo, als die Magd - wie war ihr Name? - als die Magd - die Schultern der Magd - es war warm, er spürte die Wärme bis unter seine Haut, seine Wangen glühten, ein wohliges Gefühl hüllte ihn ein. Er wünschte sich, sogleich in einen ewigen Schlaf zu sinken und dort nur noch in Träumen zu leben. Und wenn ohnehin alles nur ein Traum war, das ganze Leben, wie die Philosophen behaupteten? Gab es dann das Leben überhaupt? Aber natürlich! Es gab ja auch das Meer, die ständige Brandung, die immerwährende Bewegung, die Nähe in der Ferne!
    Tristan drehte sich auf die andere Seite. Solche Gedanken beunruhigten ihn nicht. Aber indem sie ihm durch sein schläfrigmüdes Herz wanderten, fühlte er sich von ihnen gleichsam beobachtet. Mit der Hand wollte er die Wolldecke an sein Kinn heranziehen und spürte, dass er die Finger nicht zur Faust schließen konnte. Etwas war zwischen ihnen, etwas Rundes, das sich nicht zusammendrücken ließ, sosehr er sich auch anstrengte. Die Kugel musste es sein. Aber die Kugel hatte er Rual zurückgegeben. Es war ihm zu mühevoll, noch weiter darüber nachzudenken. War nicht jede Faust …? - So, mit unvollendeten Empfindungen, schlief er oft in diesen Tagen ein.
     
    Dorran, noch einmal ~ 166 ~ Schnell schlafen
     
    Es war warm an diesem Abend, als Isolde, die Königin von Erui, den Hügel hinunterging ans Meer zu dem kleinen Strand vor dem Hafen und hinausblickte auf die See. Die Wellen schwappten, leckten, umflossen ihre nackten Füße. In ihrem Rücken grölten Soldaten, zischte an den Feuerstellen feuchtes, qualmendes Holz. Zugleich, das

Weitere Kostenlose Bücher