Tristan
und Feiern zwischen Ostern und Pfingsten teil, freuen konnte er sich weder an dem Lautengezupfe seines Bruders noch an dessen Epen. Nur wenn er grausame Episoden schilderte, Kämpfe mit Wölfen und Schlangen, wenn er von Sternen berichtete, die auf die Erde niederfielen, wenn Feuer und Schwerter die Szene beherrschten, dann vergaß Edwin für Augenblicke seinen Neid und war in Gedanken selbst derjenige, der die Ungeheuer und die gesamte widrige Natur besiegte. Kaum aber beendete Tristan seine Geschichten, kaum verklang der letzte Ton seiner Stimme, verschwanden auch Edwins Vorstellungen und er sah wieder den kahlen Raum, das Feuer, das durch die Mägde in Gang gehalten wurde, den ausgelegten Boden, auf dem sie einst mit Steinen und Hölzern gespielt hatten, wobei Tristan immer als Sieger hervorgegangen war. Dann wandte sich Edwin ab und lief auf den Flur hinaus, nur um allein zu sein. - Und nun musste er mit Tristan auch noch in einem Raum schlafen! Oft gelang ihm das nicht, und er lag bis zum Morgengrauen wach auf seiner Stelle, wälzte sich herum, sprach leise mit sich selbst und verwünschte immer wieder, dass es Tristan gab. Vielleicht stirbt er ja, dachte Edwin und schlief schließlich ein, um nur wenig später unter Murren und Fauchen von einer der Mägde aufgeweckt zu werden, weil ein Ausritt geplant war. Man wollte Tristan die neue Hafenanlage zeigen, die während seiner Abwesenheit entstanden war.
»Tristan, Tristan, immer nur Tristan«, murmelte Edwin beim Aufstehen. Er konnte den Namen nicht mehr hören.
Gepäck ~ 163 ~ Etwas, das leuchtet
Tristans Reisegut, das Enrique, der sie bis zur nordspanischen Küste begleitete, gepackt hatte, lag noch immer in einer Kammer, die von niemandem als ihm, seinen Eltern oder Courvenal betreten werden durfte. Lediglich die beiden Lauten, seinen Säbel, den persischen Dolch für seinen Vater und eine mit bunten Steinen besetzte fibula für Floräte, mit der sie ihre Brusttücher zusammenstecken konnte, hatte er daraus hervorgeholt. Als ihn eines Morgens Rual fragte, ob er denn noch Riwalins goldene Kugel besäße, durchfuhr es den Jungen wie einen Stich, dass er dieses Kleinod fast vergessen hatte. Sie war ihm zuletzt ganz unwichtig geworden, musste ihn ja auf dem Rückweg in die Heimat nicht mehr an das erinnern, was er auf dem Ritt durch Spanien zur Küste und auf der Überfahrt über das Meer nach Bretagnen tat - den Weg nach Hause zu finden. Die Freude auf seine Eltern hatte ihn nur vorausblicken lassen. Gegenstände, die ihn daran erinnern könnten, von wo er aufgebrochen war, verloren in der Zukunft ihre Bedeutung.
Nun aber, nach seiner Ankunft, nach seinem Bad in der symphatia, die ihm die Menschen entgegenbrachten, und in der memoria, in der er umherschlendernd versank, wachte er durch Ruals Frage nach der goldenen Kugel gleichsam auf und erinnerte sich der Andenken, die er zusammen mit Courvenal auf der Reise gesammelt hatte. Da er das Packgut nach dem Aufbruch von Toledo gänzlich aus den Augen verloren und immer nur die prall gefüllten, gut verschnürten Taschen auf den Rücken der Pferde gesehen hatte, war er nie auf den Gedanken gekommen, das etwas von seinem Mitgebrachten hätte verschwinden oder gar gestohlen werden können. Die goldene Kugel aber und sein Glas aus Colonia - wenn diese verschwunden wären …!
Angst überfiel ihn. Er rannte zur Kammer, ließ Lichter holen, um den dunklen Raum zu beleuchten, und schnitt mit seinem Dolch die Gurte der Taschen auf. So ungeduldig war er, dass er dabei nicht auf Zerbrechliches achtgab. Seine Hände zitterten, als er in den Stoffen und zwischen den Papieren wühlte. Funkelnde Steine, perlmuttfarbene Löffel, mit Glöckchen besetzte eskarpins und reich verzierte Fibeln kamen ihm in die Hände, er fand sogar, umschlagen mit beschrifteten Papyrusblättern, die aus dem Steinhaus Don Philippes in Barcelona stammten, den Holzwürfel wieder, in dem sich unversehrt sein Trinkglas befand.
Die Wiederbegegnung mit dem Gefäß, dessen Wände sich wie erstarrte Haut anfühlten, versetzte ihn für einen Moment in einen Zustand des Entzückens, und er wäre am liebsten sogleich zu Floräte gerannt, um ihr dieses Wunderwerk der Glasbläserkunst zu zeigen. Aber die entsetzliche Angst davor, Riwalins Kugel verloren zu haben, hinderte ihn daran. Fieberhaft suchte er weiter - und fand sie nicht.
Sein Kopf war leer, seine Sinne benommen, als er mit trockener Kehle in die Kemenate zurückkehrte, in der man das Essen zu
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