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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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könne. Eine Aufgabe, die belohnt würde.
    »Wie viel?«, wollte daraufhin Courvenal wissen.
    Die Summe, die Rual nannte, war so überaus großzügig, dass der Mönch daraufhin nur kurz mit einem »Na dann« antwortete.
    Und so begleitete er Tristan. Viel Neues beibringen konnte er ihm nicht mehr. Was die Kunst des Reitens, Jagens und Kämpfens betraf, war der Junge ihm längst überlegen. Dasselbe galt auch für musikalische Vorträge und das Verfassen von Epen. Courvenal war zwar in der lateinischen und griechischen Sprache sicherer, doch soweit es das gesprochene Wort betraf, war Tristan viel wendiger und geschickter.
    Es blieb nur noch die Beherrschung der Gefühle. Da vermochte der Mönch noch immer ein Vorbild zu sein, nicht um Gefühle zu unterdrücken, sondern um ihnen im richtigen Moment zu einem edlen Ausdruck zu verhelfen.
    Das andere aber, das von unschätzbarem Wert war, bemaß sich an dem Vertrauen, das die beiden zueinander hatten. Sie waren Freunde in einem ganz besonderen Sinn. Ein jeder liebte das Tun des anderen, verfolgte alle Taten mit einem königlichen Respekt, wie ihn, nach Courvenals Worten, »vielleicht nur die Götter der Griechen untereinander pflegten, weil sie sich ihrer Taten nicht erinnern mussten«.
    Die Monate, die auf die kurze Ohnmacht Tristans folgten und die sie miteinander verbrachten, hätte Courvenal niemals missen wollen, sein Leben lang nicht. Er genoss die Gegenwart dieses jungen Mannes, neben dem er zur Jagd ritt, auf Turniere ging, lesend am Tisch saß oder am Feuer, um über Augustinus und Aristoteles zu reden. Auf Conoêl wurde in einem Raum, der als Lager benutzt worden war, eine Bibliothek eingerichtet, in der sich die Regale mit Büchern füllten, vor allem auch solche noch lebender Dichter der französischen, mitteldeutschen und britannischen Sprache.
    Bei der Einrichtung dieser Bibliothek kam es dazu, dass die alten Buchbestände aus dem Großen Saal, den Rual meist für sich beanspruchte für Unterredungen, Verhandlungen, aber auch zum stillen Nachdenken, in das neue Domizil überführt werden sollten. Dies geschah dadurch, dass ein paar Knappen damit beauftragt wurden, die Folianten durch die Flure zu schleppen und in den neuen Regalen abzulegen. Eine neue Ordnung der Bestände wollte Courvenal erst im Verlauf der Wintermonate durchführen, wenn die Witterung sie alle dazu zwang, sich innerhalb der Mauern aufzuhalten.
    Deshalb war es nichts als ein Zufall, dass Rual, der sich um die innere Organisation der Kemenaten kaum kümmerte, an eben jenem Tag, an dem das Umräumen der Bibliothek begann, auf seinem Tisch wieder die Kugel bemerkte. Wie sie dorthin gekommen war, wusste er nicht. Sie lag nur da und begann, wie von selbst zu glänzen und sogar, als wäre ein Licht in ihr entzündet, zu leuchten. Verwundert betrachtete er das Schauspiel, war erst erfreut, dass er Riwalins Kleinod nun wieder unversehrt in die Truhe packen könnte, und wegen der unnatürlichen Strahlung sich zugleich nicht sicher, ob alles mit rechten Dingen zuging. Aufgeregt eilte er zu den weiter vorn gelegenen Räumen, wo er Courvenal vermutete, um ihn zu bitten, das Ungewöhnliche zu beurteilen. Als er den Großen Saal betrat, sah er, dass in diesem Moment einer der Knappen ein mit festem Leder eingeschlagenes Buch unterm Arm trug, auf dessen rotem Einband ein »T« glänzte, als wäre die Farbe noch feucht.
    »Was machst du da?«, fuhr Rual den jungen Mann an.
    Der Knappe stotterte etwas vor sich hin und blickte sich um.
    Courvenal trat aus dem Schatten der wenigen Lichter, die aufgestellt waren, zu ihm und sagte ruhig: »Er befolgt meine Befehle. Alle Bücher kommen in die neue Bibliothek.«
    »Aber nicht dieses!«, entgegnete Rual bestimmt und riss dem Knappen das Buch unter dem Arm weg. »Das ist mein Buch, ganz allein meins!« Mit diesen Worten und dem Buch in den Händen, als würde er einen schweren Holzscheit tragen, verließ er den Raum. Zurück in seiner Kemenate legte er den Folioband auf den Tisch, gleich neben die Kugel. Im selben Moment wurde ihre Oberfläche trüb, das Leuchten verlosch. Warum dies geschah, konnte sich der Marschall nicht erklären, er wollte es auch nicht. Viel wichtiger war ihm, dass niemand von dem Geheimnis um Tristan etwas erfahre, und die Kugel sollte aus seinen Augen verschwinden. Also packte er sie in ein Leintuch und das Buch in ein anderes und verstaute beides in der an der Wand stehenden Truhe. Als das geschehen war, verschloss er den Deckel mit einem

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