Tristan
davon, traf das gehetzte Wild in die Flanke, es schleppte sich weiter, und Riwalin, statt sich wieder aufs Pferd zu setzen, vermied jede Verzögerung, stürmte durch das raschelnde Laub dem Hirsch hinterher, packte ihn am Geweih, schwang sich auf seinen Rücken und versetzte ihm mit dem Dolch einen tödlichen Stoß. Der Hirsch knickte sogleich in den Läufen ein, fiel zur Seite, und der schwere Tierleib begrub Riwalin in einer Mulde aus felsigen Steinen und Moos unter sich.
Es dauerte eine Weile, hatte Rual aufgeschrieben, bis wir, den Graben umgehend, mit der Meute an das auf dem Rücken liegende Tier herangeritten waren, und wir waren einen Augenblick lang entsetzt, dass aus dem Tier, dem die rosige Zunge aus dem Maul hing, ein unbändiges Gelächter kam. Erst als zwei Jagdknechte den Hirsch zur Seite hoben und unseren vergnügten König aus seiner Lage befreiten, fielen wir in sein Lachen ein. Er freute sich nicht darüber, die Natur überwältigt zu haben, er hatte nur Freude an dem, was ihm widerfahren war: der Jäger unterlag dem Gejagten. Auf dem Heimritt ersann Riwalin darüber ein Lied:
Im Waide-Walde dunkelgrün
Mir ein weißer Hirsch erschien
Ich jagte ihn bis an sein Ende
Wir gaben uns die Hufen-Hände
Ich war sein Jäger und sein Tod
Im Waide-Walde meiner Not.
Rual hatte neben die Verse ein Bild gezeichnet, fast nur hingekritzelt. Aber es war gut zu erkennen, wie der junge König unter dem Hirsch lag und seitlich des Tierkopfes mit dem gewaltigen Geweih die lockige Haarpracht Riwalins hervorquoll, als würde sie dem Hirsch gehören.
An dieser Stelle seiner Notate angelangt, legte Rual eine Feder zwischen die Seiten, schlug das Buch zu und stellte es an seinen Platz zurück. Er war müde vom Lesen, das ihn wie das Schreiben immer besonders anstrengte, der Rauch der Öllämpchen biss ihm in die Augen. Er löschte sie aus, nur eines ließ er brennen.
Wenig später lag er neben Floräte auf dem Lager. In Gedanken war er noch bei seinem König, verglich den jungen Riwalin mit Tristan und fand in deren Wesen viele Ähnlichkeiten. Da tastete Floräte mit der Hand nach ihm, fand seine Schulter, schien zufrieden, atmete einmal tief auf und fiel wie er in den Schlaf.
Ein Schiff aus Muscheln ~ 25 ~ Ein Löffel voll Pfeffer
Sein Schlaf war voller Träume. Rual hörte seines Herrn Befehl, ein Schiff zu bauen, nur aus Muscheln. Als Segel sollte er Wolken setzen, aber weil das Schiff nicht von sich aus vorantrieb, musste Rual es anstoßen und durchs Meer schieben, das ihm bis zu den Knien reichte. Darüber erwachte er, verärgert, dass ihm niemand geholfen hatte, Riwalin alles für selbstverständlich nahm und darüber auch noch lachen konnte. Der stand am Bug des Schiffes und schaute aufs Meer hinaus, und Rual stieß es vom Heck aus vorwärts. Das durfte nicht sein. Er tastete im Halbschlaf nach Floräte und fand sie nicht. In der Fensterluke erblickte er den Morgen. Murrend drehte er sich auf die andere Seite.
Rual erinnerte sich ungern an die Zeit, als Riwalin tatsächlich ein Schiff im Hafen von Conoêl bauen ließ, ein Schiff nur für sich. Die Kosten spielten keine Rolle, und niemand wusste, wofür er dieses Schiff gebrauchen wollte. Fast ein ganzes Jahr lang war Rual damit beschäftigt, Hölzer für den Schiffsbau zu besorgen, Handwerker zu bezahlen, Schnitzereien zu begutachten und teures Segeltuch aus Italien zu beschaffen, in das die Zeichen und das Wappen Parmeniens eingewebt waren. Doch niemand wusste, wofür das alles gut sein sollte. Wenn er Riwalin danach fragte, bekam er ein fröhliches Lachen als Antwort oder hörte Worte wie »Abenteuer«, »Zukunft« oder gar »Liebe«.
Wir können nicht verheimlichen, hatte Rual notiert, dass mein Herr Riwalin zu jener Zeit, als er sein Schiff mit dem Namen Beneventa, den er wohl von einem aus Italien kommenden Handelsfahrer gehört hatte, bauen ließ, an nichts anderes denken konnte als an die Liebe. Er wollte unbedingt jemanden, der ihm gleich war, lieben, ohne zu wissen, was es bedeutete. Die Frauen, die im Land für ihn geeignet gewesen wären, hatte er alle - wie er sagte - bestaunt. Er war viel schöner als die vermeintlich Schönen, denen er begegnete. Er wollte sich selbst übertreffen, er wollte das Andere, das Gegenteil von sich. In Blancheflur…
Rual war nun völlig wach, als er sich an diese Zeit erinnerte. Missgelaunt stand er auf, wusch sich Gesicht und Hände überm Bottich und machte sich auf zur Kochstelle. Dort fand
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