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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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Ebene, hinter sich die uneinnehmbar hohe Mauer der Burg von Conoêl.
    In diesem Moment erschien es dem Jungen, als hätte er alles entdeckt, was es auf dieser Welt zu entdecken gab. Ohne sich lange aufzuhalten, kroch er in den Gang zurück und in den Förderkorb, zog sich an dem zweiten Seil Stück für Stück in die schwindelnde Höhe der Mauer hinauf, öffnete die Falltür, indem er den Ring nach unten drückte, und kletterte nach draußen. Der Himmel begann schon licht zu werden, die Morgendämmerung kündigte sich an. So schnell er konnte, lief er zurück zum Haupthaus und in seine Kemenate, bevor Merla erwachte und aufstand, um Feuer zu machen.
    Kaum hatte sich Tristan unter die Decken auf sein Lager gelegt, schlief er ein. Er ahnte nicht, dass mit dem ersten Schritt in die Freiheit jenseits der Burgmauern die letzten Tage seiner Kindheit angebrochen waren.

Zweites Buch
     
    RIWALIN UND BLANCHEFLUR
     
    Kapitel 22-52
     
    Entschädigungen ~22~ Tristans Neugier
     
    Nachdem Rual wieder genesen war, ließen sich auch die wegen Ladonc ausgebrochenen Streitigkeiten mit dem französischen Comte de Mereille schnell und ohne große Versammlung regeln. Der Comte war froh, dass El Binin tot und seine Rotte aufgerieben war, zumal der Besitz des Raubritters an ihn überging. Ein knappes Viertel davon erhielt Parmenien in Gold- und Silbermünzen zur Entschädigung. Rual ließ davon die zerstörten Hütten im Ladonc wieder aufbauen und ersetzte das von El Binins Schergen abgeschlachtete Vieh durch Ankäufe aus Frankreich, sodass ein kleiner Teil des Geldes dorthin zurückfloss, wo es hergekommen war. Etwas über die Hälfte der compensatiôn verbrauchte er, um neue Söldner anzuheuern, seine Truppen zu verstärken und die Grenzen besser zu sichern. Etwa einen Monat benötigte er zur Abwicklung dieser Geschäfte und war manchmal tagelang nicht auf der Burg. Deshalb hatte er gleich nach dem Fest für Tristan eine Sonderbewachung angeordnet, damit der Junge nicht noch einmal während seiner langen Abwesenheit verloren ging und Floräte sich ängstigen musste.
    Tristan wusste von der Bewachung. Sein Vater hatte ihm erklärt, es sei seine Pflicht, auf das Wohl seines ältesten Sohnes zu achten. »Und jetzt muss ich erneut für einige Zeit Conoêl verlassen«, sagte er mit einem Seufzer, strich Tristan über den Kopf und wollte sich verabschieden, als Tristan ihn fragte, ob er nicht wieder die goldene Kugel verwahren und an seines Vaters statt die Geschicke der Burg leiten solle.
    Dieser Vorschlag brachte Rual in Verlegenheit. Er erinnerte sich daran, dass es ihm nach der Übergabe des Kleinods in so rascher Zeit wieder besser gegangen war. Riwalin hatte die Kugel nach seiner Rückkehr aus England bei sich gehabt, und Rual hatte sie nach seinem Tod an sich genommen, um sie für Tristan aufzubewahren. Also gehörte sie rechtlich dem Jungen. Aber sie war, bis er sie Tristan wie in einem Spiel gleichsam symbolisch ausgeliehen hatte, für ihn nur eine vergoldete Silberkugel gewesen, gewiss wertvoll, doch mehr ein Schmuck denn ein magisches Objekt. Nachdem mit der Kugel in Tristans Hand die unerklärlich schnelle Heilung seiner Wunde geschehen war, hatte er sie wieder in der Truhe Riwalins verwahrt. Um Tristan seine Bedenken nicht erklären zu müssen, sagte er dem Jungen lächelnd, Hauptmann Linnehard sei jetzt sein offizieller Vertreter und der habe auch die Kugel.
    Tristan musste sich damit zufriedengeben, auch damit, dass er nun wegen der Wachen nicht mehr in sein Versteck konnte und es erst recht unmöglich war, den geheimen Austritt bei der Mauer genauer zu untersuchen. An regnerischen Tagen spielte er mit Edwin und ein paar anderen Jungen Ringeoder Ballwerfen, wenn das Wetter schön war, übten sie Klettern und schnitzten sich Schwerter oder Speere. An einem Nachmittag, als niemand zum Spielen da war, weil Edwin mit Zahnschmerzen in der Kemenate lag und Floräte sich um den kleinen Ludvik kümmern musste, wollte Tristan sich die Langeweile im Großen Saal vertreiben und in den Büchern blättern, um darin die Schriften und Bilder anzusehen. Doch die beiden Knechte, die ihm als Wache zugeteilt und immer in seiner Nähe waren, verwehrten ihm den Zutritt. Auf Geheiß des Marschalls, sagten sie. Die Knechte hießen Inger und Mollroy, der eine stammte aus dem hohen Norden, der andere aus Britannien. Sie mochten ein Dutzend Jahre älter als Tristan sein und sprachen gebrochen den Dialekt des Convue. Den Jungen hatten sie gern, waren

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