Tristan
verstorben: »Noch in hundert Jahren wird man an Euch denken, wenn man diese Münze sieht. Von dem König wird man reden, der sechsundneunzig davon prägen ließ.«
»Vierzig also, sagst du, habe ich damals ausgegeben?«, unterbrach Marke seine eigenen Gedanken und wandte sich wieder an den Chronisten. »Wo ist der Rest?«
»Welcher Rest, Herr?«
»Die anderen, die …« - Marke musste sich setzen. Er ahnte, welchen Fehler er begangen hatte: seinen Leuten zu vertrauen, dass sie ihm helfen würden, mit ihrer ganzen Seele, seine Schwester wiederzufinden und so edel und ehrlich zu handeln wie er selbst. Einen goldenen Schatz hatte er geopfert, damit sie ihm Blancheflurs Leben zurückbrachten. Aber es war ja nicht ihre, sondern seine Schwester! Und als er ihnen die Münzen gab, waren es nicht mehr seine Goldstücke, sondern deren! Und die waren längst auf der ganzen Welt unterwegs und hatten sich verflüchtigt oder vermehrt. Das ging ihn nichts mehr an. Nur dieser eine Mann, dieser Hoggard, war zurückgekehrt und hatte wenigstens den Namen genannt, den Namen der einzigen Frau, die er bisher geliebt hatte: Blancheflur! Welche Sehnsucht lag darin.
»Steh auf!«, fuhr er Hoggard an, indem er sich selbst erhob. »Du bekommst deine drei Münzen, vielleicht nicht die gleichen, aber aus Gold werden sie sein. Du nimmst das nächste Schiff zum Festland und findest mir diesen Jungen, dessen Namen dir entfallen ist. Und wenn du weder den Menschen noch den Namen dazu antreffen und mir darüber berichten kannst, dann setze nie mehr einen Fuß auf diese heilige Insel, sonst wird er dir abgehackt! Geh jetzt, geh, geh, geh! Lauf davon! Schwimm durchs Meer, wenn du kein Schiff finden kannst!«
Hoggard war so erstaunt, dass er sich nicht von der Stelle rühren konnte. Er sah noch, wie sein König einem seiner Leute flüsternd Anweisungen gab und dann hinter einem Durchgang verschwand.
Plötzlich waren Wachsoldaten da, die Hoggard zum Ausgang führten, vor dem er von einem bärtigen Mann, der ein rotes Wams trug, abgefangen wurde. Er fühlte einen festen Griff an seinem rechten Handgelenk, das man ihm umdrehte. Wie von selbst öffnete sich dabei seine Hand. Der Mann legte einen kleinen ledernen Beutel hinein, schloss ihm die Finger zur Faust, blickte zur Seite, als Hoggard etwas sagen wollte, und verschwand. Die Wachen schubsten ihn vorwärts, und einer der Soldaten zeigte mit dem ausgestreckten Arm in eine Richtung. »Dorthin!«, sagte er dabei.
Dort verlief der Weg nach Seaford.
Thomas am Meer ~ 168 ~ Ungewollte Freundschaft
Ans Meer hatte Thomas nie gewollt. Er hatte so viel von Schiffen gehört, von Weltuntergangsstürmen und Riesenwellen, in denen sie kenterten, dass er sich geschworen hatte, das große Wasser zu meiden. Als er schließlich nach einer langen Reise durch Germanien in Danmark an einem Hafen angelangt war und sich erkundigte, wie er nach Parmenien käme, sagten ihm alle: am schnellsten der Küste entlang auf dem Meer.
Thomas zögerte. Er ließ ein paar Tage verstreichen, um sich darauf vorzubereiten, was ihm »auf dem Meer« geschehen könnte. Abseits des Hafens hatte er eine gut ausgestattete Unterkunft gefunden mit allerbester Verpflegung. Von einer Magd ließ er seine Kleider durchsehen und neu ordnen, in einer Badestube wurde ihm der Bart geschnitten, den er seit seiner Nürnberger Zeit trug und der ihm ein männliches, ihn gänzlich veränderndes Aussehen gab. Den Nachmittag verbrachte er an der flachen Küste und schaute hinaus auf das, was ihm endlos erschien und dessen Herkunft er sich nicht erklären konnte: das Wasser. Er sah Boote und Schiffe davonfahren und musste beinahe lachen bei dem Gedanken, dass der Regen, der aus dem Himmel fiel und das Meer bildete, Holz und Menschen, Waren und Pferde tragen konnte. Er hörte das gleichmäßige Rauschen der Brandung und hatte das Gefühl, es wollte ihm etwas sagen. Sand war vom Wind klein geriebener Stein, so viel hatte er verstanden. Was aber war Wasser? Niemals konnte es so viele Wolken geben, die, wenn sie sich ausregneten, ein ganzes Meer ergäben. Und warum schmeckte es salzig? Wäre man auf dem Meer, wurde erzählt, mitten auf dem Wasser, und hätte kein Regen- oder Flusswasser bei sich, würde man verdursten. Das Meer war für die Fische da, nicht für den Menschen. Warum hatte Gott das so gewollt?
Thomas saß in diesen Tagen an einer Stelle zwischen niedrigen, vom Wind zur Seite gedrückten Sträuchern und machte sich ihm ganz ungewohnte
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